© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Ausnahmezustand
Kampf gegen Rechts: Autonome "Antifaschisten" terrorisieren Göttingen / Die Polizei zeigt sich überrascht
Christian Vollradt

Vor einem halben Jahr hatte die niedersächsische NPD zu einer Demonstration "Gegen Sozialabbau, Rentenklau und Korruption" für den 29. Oktober in Göttingen aufgerufen. Die Universitätsstadt gilt als linke Hochburg, eine NPD-Demonstration ist daher eine besondere Provokation. Folgerichtig formierte sich ein "Bündnis gegen Rechts", initiiert vom örtlichen DGB, Parteien und Gruppen von links bis linksradikal.

Erstmals sah die Stadtverwaltung von einem Verbot ab, da dies keine Aussicht auf Erfolg habe. Eine Entscheidung, für die Oberbürgermeister Jürgen Danielowski und sein Rechtsdezernent Wolfgang Meyer von linken Politikern und Gruppierungen scharf kritisiert werden. Doch ihre Einschätzung erwies sich als zutreffend. Denn sogar gegen einschränkende Auflagen konnte sich die NPD vor dem Oberverwaltungsgericht Lüneburg schließlich noch erfolgreich zur Wehr setzen: Ihre Demonstration durfte nicht aus der Innenstadt verbannt werden.

Wie üblich rief das Vorhaben der NPD auch die linksextreme Antifa auf den Plan. Bereits am Vorabend der NPD-Kundgebung zogen rund 300 Antifa-Anhänger durch die Stadt. "Mit Deutschland Schluß machen", zogen sie nicht allein gegen die Nationaldemokraten zu Felde: "Wer Faschismus effektiv bekämpfen will, muß diesen Staat bekämpfen", hieß es in einem der Redebeiträge. Am nächsten Tag sollte sich zeigen, was darunter zu verstehen ist.

Löschfahrzeuge werden mit Steinen beworfen

Am vergangenen Samstag sammeln sich gegen Mittag die NPD-Mitglieder und Anhänger sogenannter Freier Kameradschaften auf dem Bahnhofsvorplatz, der schon Stunden zuvor von der Polizei abgesperrt worden war. Hundert Meter davon entfernt hatten etwa 1.500 Personen an einem "Frühstück gegen Rechts" teilgenommen, einige hundert "Antifaschisten" drängten danach auf die Polizeikette zu. Im Eingangsbereich sortierten Beamte die Anreisenden: "Antifa" nach rechts, NPD-Demonstranten nach links, verängstigt dreinblickende Bahnreisende lotste man zwischendurch. Teilnehmer beider Demonstrationen wurden durchsucht, es kam bereits dort zu Ermittlungsverfahren und vorläufigen Festnahmen. Die Einhaltung der Auflagen, die die Stadt Göttingen der NPD erteilt hatte, überwachte der städtische Rechtsdezernent Wolfgang Meyer persönlich: Genehmigt waren nur Landes- und Bundesflaggen sowie offizielle NPD-Fahnen. Einige der Transparente ließ Meyer mit schwarzem Klebeband bereinigen.

Unterdessen gaben Aktivisten der "Antifa" per Lautsprecher Anweisungen an die Gefolgschaft durch: Wer bei "Aktionen" mitwirken wolle, sollte sich von der "Bündnis"-Demo fernhalten. DGB-Sprecher Martin Gertenbach rief die Gegendemonstranten auf, "möglichst" friedlich zu demonstrieren.

Als sich die NPD in Richtung Uni-Campus in Marsch setzt, um vor dem alten Auditorium die erste Kundgebung abzuhalten, steigen unweit bereits die ersten Rauchsäulen auf. Aus Müllcontainern, Baumaterial, Sperrmüll und Verkehrsschildern haben "autonome Antifas" Straßensperren errichtet und angezündet. Übelriechender Rauch hüllt die Kreuzung ein, ringsum gruppieren sich die Blockierer, während ein Teil von ihnen weiterzieht. In Sichtweite entfernt stehen einige hundert Bereitschaftspolizisten. Nach zwanzig Minuten rückt die Feuerwehr an, die Löschfahrzeuge werden von Autonomen eingekreist und mit Steinen beworfen. Die Feuerwehr rückt unverrichteter Dinge ab, erst jetzt setzen sich die Bereitschaftseinheiten gegen die gewalttätigen Protestierer in Bewegung. Erst wesentlich später kommt schweres Räumgerät, darunter ein gepanzertes Fahrzeug, zum Einsatz. Die drei vorhandenen Wasserwerfer werden nur zum Löschen der brennenden Barrikaden eingesetzt.

Angesichts der Ausschreitungen entlang der genehmigten Route der NPD eröffnet die Einsatzleitung den Nationaldemokraten, daß sie einen anderen Weg einschlagen müßten. Doch auch auf diesem kommt es zu Blockaden und Steinwürfen gegen Demonstranten und Polizei. Infolge der weiteren Eskalation forderte die Polizei schließlich von der NPD, die Demonstration aufzulösen, was diese unter Protest schließlich auch tat. Als Begründung führt die Polizei den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit an. Das Recht der NPD, ihre Versammlungsfreiheit in Anspruch zu nehmen wiege nicht so schwer, daß ein vehementerer Einsatz gegen die linken Störer gerechtfertigt sei. Im Laufschritt mußten die Demonstranten, eskortiert von der Polizei, wieder zum Bahnhof gebracht werden.

Polizei kam erst, als alles längst vorbei war

Währenddessen machen Gruppen von Autonomen auch Jagd auf Unbeteiligte, die offensichtlich allein durch ihr nicht-linkes äußeres Erscheinungsbild als Haßobjekte herhalten müssen. Ein Jurastudent wird mit einem Schlagring am Hinterkopf verletzt. An einer Kreuzung umringen Autonome einen wartenden Mercedes und demolieren ihn, bis der Fahrerin die Flucht gelingt. In Nebenstraßen machen sich Trupps an mehreren Häusern von Studentenverbindungen zu schaffen: Fenster werden mit Steinen eingeworfen, ein Fahrradständer dient als Rammbock bei dem Versuch, eine Haustür aufzustoßen. Solche Aktionen ziehen sich über mehrere Minuten hin, die Polizei gelangt - wegen Überlastung, wie es heißt - erst zum Tatort, wenn alles längst vorbei ist.

Als die Verantwortlichen der Polizei am Abend vor die Presse treten, sieht die Bilanz so aus: Etwa 5.000 Göttinger folgten dem Aufruf des "Bündnis gegen Rechts", um gegen 230 Anhänger einer Partei zu demonstrieren. Im gleichen Zeitraum hatten ungefähr 1.000 gewalttätige Autonome in einem anderen Stadtteil 30 Barrikaden errichtet und zum Teil in Brand gesetzt, hatten Sachbeschädigungen an Fahrzeugen und Häusern verübt, 14 Polizeibeamte und über 50 Unbeteiligte verletzt. 4.000 Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet hatten dies nicht verhindern können. Rainer Langer, Einsatzleiter der Polizei, gibt zu, die Autonomen seien stärker mobilisiert und besser vorbereitet gewesen, als man vermutet habe.

Offensichtlich waren sie auch besser vorbereitet als die Polizei selbst. Denn bereits in der Nacht zuvor waren entlang der geplanten NPD-Route die Straßenschilder übersprüht worden, so daß sich für die auswärtigen Einsatzkräfte Orientierungsschwierigkeiten ergaben. Beobachtet wurde, wie ortsfremde Polizisten auf eigene Faust an einer Tankstelle Stadtpläne kaufen mußten, um sich besser zurechtfinden zu können. Die Autonomen delegierten ihre Truppen dagegen erfolgreich mittels auf Dächern postierter Späher und Fahrradmelder. Der Polizei dagegen scheint im Vorfeld verborgen geblieben zu sein, daß linke Gruppierungen die aus ihrer Sicht erfolgreiche Kleingruppen-Taktik bereits im Internet angekündigt hatten: "Bei fast jedem Naziaufmarsch gibt es symbolische Proteste. Diese sind aber nicht geeignet, den Naziaufmarsch zu stoppen. Dafür sind direkte Aktionen auf der Naziroute nötig, welche die Polizei versucht zu verhindern", hieß es schon Tage vor der Demonstration in einem Aufruf der "Basisgruppe Geschichte", einer linksradikalen Hochschulgruppe.

Die Polizeiführung betont, ihre vordringliche Aufgabe sei es gewesen, NPD-Anhänger und Gegendemonstranten auf Distanz zu halten, was auch gelungen sei. Mit Blick auf die "Kollateralschäden" in Höhe von 150.000 Euro wagt sie dennoch nicht, von einem erfolgreichen Einsatz zu sprechen. Angesichts des Ausmaßes der Gewalt sprechen zudem die 44 vorläufigen Ingewahrsamnahmen und 52 Strafverfahren nicht gerade für einen hohen Verfolgungsdruck.

Bleibt die Frage nach den Gründen für dieses offenkundige Versagen. Mit Sicherheit liegt es nicht an den eingesetzten Polizisten. Mitglieder einer aus Süddeutschland stammenden Einheit äußerten hinter vorgehaltener Hand, sie hätten mehr ausrichten können, wenn es ihnen erlaubt worden wäre.

Daß der Göttinger Polizeipräsident Hans Wargel am Abend nach dem Einsatz erneut die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts kritisierte und angesichts der Ausschreitungen Linksextremer vom neuen Bundestag ausgerechnet einen erneuten Anlauf für ein Verbot der NPD forderte, läßt auch eine andere Schlußfolgerung zu: Sollte es im nächsten Jahr wieder zu einer Demonstrationsanmeldung von seiten der NPD kommen, könnte die Stadtverwaltung ein Verbot aussprechen und dieses unter Verweis auf die Ereignisse des letzten Samstags mit höheren Erfolgsaussichten als polizeilichen Notstand begründen.

Größter Verlierer war der Rechtsstaat

Göttingens Oberbürgermeister Danielowski (CDU) fordert, künftig müsse sich der Protest gleichermaßen "gegen die gewalttätigen Autonomen" richten, die CDU wird in einer Pressemitteilung noch deutlicher. Man fühle sich an die Krawalle der späten achtziger Jahre erinnert: "Den schlechten Ruf Göttingens als Stadt des autonomen Terrors hatten wir gehofft, überwunden zu haben," so Holger Welskop, Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes. Auch die Vorgehensweise der Polizei wird kritisiert, da "trotz jahrelanger trauriger Erfahrungen mit linksradikalen Gewalttätern in Göttingen die Polizeiführung von der Stärke und dem Auftreten der gewaltbereiten Demonstranten offenbar völlig überrascht war". Aus Kreisen der CDU-Landtagsfraktion war zu vernehmen, daß die Umstände des Polizeieinsatzes dort ebenfalls thematisiert würden. Denn gerade bei früheren linksextremen Ausschreitungen hatten die Christdemokraten die damalige SPD-Landesregierung immer wieder harsch kritisiert und nach dem Machtwechsel ein härteres Polizeigesetz verabschiedet.

Die Initiatoren des "Bündnis gegen Rechts" lehnten es ab, sich von den gewalttätigen Gegendemonstranten zu distanzieren. Diether Dehm, niedersächsischer Bundestagsabgeordneter der Linkspartei/PDS und einer der Redner der Gegendemonstration, äußerte nur, die "Nazis sind das Problem". Ähnliche Verlautbarungen kamen auch vom grünen Landtagsabgeordneten Stefan Wenzel und dem DGB-Vorsitzenden Gertenbach; ihre Demonstration sei schließlich friedlich verlaufen. Immerhin habe in Göttingen die NPD kein Chance, so Gertenbach. Daß dies jedoch gerade der linksextremen Gewalt geschuldet war, verschweigt der Gewerkschafter. Die SPD stellte fest, "gegen Rechts hilft kein Straßenkampf".

Triumphieren können angesichts dieses Tages nur zwei Gruppen: die NPD, die bereits weitere Demonstrationen ankündigte, um den Göttingern Nachhilfe in puncto Versammlungsfreiheit zu erteilen; und die autonomen Antifaschisten, deren Erwartungen nach eigenem Bekunden übertroffen wurden: denn über mehrere Stunden war ein ganzes Stadtviertel für die Polizei unkontrollierbar und "fest in autonomer Hand", so eine Antifa-Sprecherin.

Größter Verlierer war neben den vielen durch die Ausschreitungen Geschädigten der Rechtsstaat.

 

Foto: Impressionen einer deutschen Universitätsstadt: "Übelriechender Rauch hüllt die Kreuzung ein, ringsum gruppieren sich die Blockierer"

 

Stichwort: Autonome - Kampf gegen das "System"

Dem Verfassungsschutzbericht des Bundes 2004 zufolge gab es Ende 2004 circa 5.000 gewaltbereite linksextremistische Autonome. Sie sind vor allem in den Ballungszentren Berlin, Hamburg, Rhein-Main-Gebiet zu finden, "aber auch in kleineren Universitätsstädten wie Göttingen". Vereintes und übergeordnetes Ziel der Autonomen ist letztlich die "Überwindung des Systems". "Unter Mißachtung von Normen und Autoritäten" ist ihr Selbstverständnis geprägt "von diversen Anti-Einstellungen ('antifaschistisch', 'antikapitalistisch', 'antipatriarchal'). Die Anwendung von Gewalt halten Autonome in diesem Zusammenhang durchweg für legitim."


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