© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Finanzpolitischer Sprengstoff
Entschädigungen: Kein völkerrechtswirksamer Verzicht durch Bundeskanzler Schröder / Gutachten im Auftrag des Bundestages
Eike Erdel

Das von dem Potsdamer Staats- und Völkerrechtler Eckart Klein im Auftrag des Deutschen Bundestages erstellte "Gutachten zur Rechtslage des im heutigen Polen entzogenen Privateigentums Deutscher" steht nicht auf der Tagesordnung der Berliner Politik. Bislang ist die Studie, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, nicht veröffentlicht worden. Dabei lohnt sich ein Blick in das Gutachten: Es enthält Aussagen zu Entschädigungsansprüchen der Enteigneten, die finanzpolitisch hochexplosiv sind.

Anders als das im Auftrag der deutschen und polnischen Regierungen von den Völkerrechtlern Frowein und Barcz im vergangenen Jahr zur Rechtslage des Eigentums der Vertriebenen in den deutschen Ostgebieten erstellte Gutachten (JF 48/04) steht dieses Gutachten nicht im Verdacht, ein ergebnisorientiertes Gefälligkeitsgutachten zu sein.

Im Ergebnis stellt Klein entgegen der Annahme von Frowein und Barcz fest, daß Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seiner Erklärung vom 1. August 2004 in Warschau, die Bundesregierung werde Forderungen von Vertriebenen auf Entschädigung nicht unterstützen, nicht völkerrechtswirksam auf die Geltendmachung von solcher Ansprüchen der Enteigneten verzichtet hat.

Dabei geht Klein von zwei verschiedenen Rechtspositionen aus. Da Einzelpersonen keine Völkerrechtssubjekte sind, können diese auf völkerrechtlicher Ebene keine Rechte geltend machen. Es wird daher fingiert, daß in der Person des Geschädigten dessen Heimatstaat geschädigt wurde. Dieser hat dann im Wege des diplomatischen Schutzes die Ansprüche geltend zu machen. Durch die völkerrechtswidrige Konfiskation des Vermögens der Vertriebenen ist daher zunächst die Bundesrepublik verletzt.

Klein stellt aber auch fest, daß die Enteigneten, auch wenn sie auf völkerrechtlicher Ebene keine Rechte geltend machen können, dennoch eigene Ansprüche auf Einhaltung des Rechts und Wiedergutmachung neben ihrem Heimatstaat haben, wenn es um Ansprüche aus Verbrechen gegen die Menschlichkeit geht. Ein Verzicht der Bundesrepublik auf Entschädigungsansprüche berührt nach dieser Auffassung nicht die Ansprüche der Enteigneten, hindert aber faktisch die Durchsetzung dieser Individualansprüche.

Ausdrückliche Erklärung für den Verzicht fehlt

Klein geht davon aus, daß der Bundeskanzler mit seiner Warschauer Erklärung für die Bundesrepublik sowohl auf die Entschädigungsansprüche direkt als auch nur auf deren Geltendmachung verzichten wollte. Dabei hält er die Verzichtserklärung auch für hinreichend eindeutig, was man allerdings mit guten Gründen bezweifeln kann. Als Voraussetzungen für einen Verzicht wird allgemein eine ausdrückliche Erklärung verlangt. Daran fehlt es bei der Erklärung Schröders.

Klein hält aber den nach seiner Auffassung ausgesprochenen Totalverzicht für unzulässig, weil die Enteignungen im Zusammenhang mit der Vertreibung stehen und diese ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist. Nach seiner Auffassung hätten die Belange der Enteigneten berücksichtigt werden müssen. Daher geht er von der Unwirksamkeit der Verzichtserklärung aus, so daß die völkerrechtlichen Entschädigungsansprüche der Bundesrepublik nach seiner Auffassung noch bestehen. Diese Beurteilung des Autors ist allerdings keineswegs eine allgemeine Rechtsauffassung. Es kann nicht als gesichert gelten, daß Staaten nicht ohne Gegenleistung auf Ansprüche aus Völkerrechtsverbrechen verzichten dürfen.

Der Gutachter hat selbst Zweifel, ob sich seine Rechtsauffassung international durchsetzen läßt. Mit der Feststellung der Unwirksamkeit der Verzichtserklärung des Bundeskanzlers läßt es der Potsdamer Völkerrechtler daher nicht bewenden. Er untersucht in seinen Gutachten auch die rechtlichen Konsequenzen einer völkerrechtlich wirksamen Verzichtserklärung und kommt zu dem Ergebnis, daß den Enteigneten in diesem Fall ein innerstaatlicher Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff gegen die Bundesrepublik zusteht. Die Entschädigung hat dabei angemessen zu sein, wobei nicht der volle Wert zu ersetzen ist. Solche Ansprüche würden dann bei Annahme einer wirksamen Verzichtserklärung am 31. Dezember 2007 verjähren.

Die völkerrechtliche Unwirksamkeit der Verzichtserklärung auf Ausübung des diplomatischen Schutzes für die Enteigneten bedeutet natürlich nicht, daß die Bundesrepublik nicht tatsächlich praktisch auf die Ausübung des diplomatischen Schutzes verzichtet. Hier bleibt die Reaktion der neuen Bundesregierung abzuwarten. Daß die Vermögensfrage gegenüber der polnischen Regierung wieder ausdrücklich als offen bezeichnet wird, ist wenig wahrscheinlich. Sollte die neue Bundesregierung die Erklärung Schröders bestätigen, so wäre dies als ein dauerhafter Verzicht auf diplomatische Schutzausübung zu deuten. Eine solche generelle Verweigerung des Auslandschutzes wird im Gutachten als verfassungswidrig bewertet. Hiergegen können die betroffenen Grundeigentümer klagen.

Eingentumsansprüche bestehen weiter

Im Ergebnis stellt Klein also nach wie vor bestehende Eigentumsansprüche der vertriebenen Grundbesitzer fest. Diese sind nach seiner Auffassung nur durch die Bundesrepublik im Wege des diplomatischen Schutzes durchsetzbar. Andere aussichtsreiche Rechtsschutzmöglichkeiten sieht der Potsdamer Völkerrechtler nicht.

Klagen vor polnischen Gerichten, dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte oder dem Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen hält Klein für aussichtslos. Er geht davon aus, daß die internationalen Gerichte sich für unzuständig erklären werden, da die Enteignungen vor dem Beitritt Polens zu den Menschenrechtskonventionen stattgefunden haben.

Damit bestätigt der Völkerrechtler die schon von Frowein und Barcz im Gutachten prognostizierte Erfolglosigkeit der beabsichtigten Klagen der Preußischen Treuhand. Andererseits hat die Europäische Kommission für Menschenrechte sich auf den Standpunkt gestellt, daß einem Rechtszustand durch seine bloße Fortdauer Eingriffsqualität im Hinblick auf die Menschenrechte zukommen kann.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen