© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Den Staat flottmachen
Konvent für Deutschland: Auf einem "Workshop" in Berlin sollten sich Journalisten für Reformen begeistern
Dieter Stein

Zu Recht wird derzeit von vielen Zeitungen kritisiert, daß die Politik in Berlin angesichts leerer Kassen nicht mit gutem Beispiel vorangeht und bei sich selbst mit dem Sparen beginnt. Beispielsweise erhöhte der neue Bundestag die Zahl der stellvertretenden Parlamentspräsidenten von vier auf sechs. Von Kürzungen der Pensionsansprüche, Diäten oder der Verkleinerung von Ministerien und Parlamente ganz zu schweigen.

Will man nun aber Redakteure in der Hauptstadt dazu bewegen, die beheizten Redaktionsräume zu verlassen und einen "Journalisten-Workshop" zu besuchen, der für die nötigen politischen Reformkonzepte begeistern will, darf man sich nicht lumpen lassen. So lud der Konvent für Deutschland ins gediegene Hotel Adlon am Pariser Platz schräg gegenüber dem Brandenburger Tor ein. Der von Ex-BDI-Chef Hans-Olaf Henkel und dem Leiter einer der größten Unternehmungsberatungen Deutschlands, Roland Berger, initiierte Kreis will die Öffentlichkeit für freiheitlich-marktwirtschaftliche Reformschritte mobilisieren.

Eine solche Lobbyarbeit ist legitim. Alle denkbaren gesellschaftlichen Gruppen sind in der Hauptstadt präsent und versuchen Einfluß auf Parteien und Medien zu nehmen, um ihre Anliegen voranzubringen. Henkel und Berger haben inzwischen einen illustren Kreis um sich versammelt, der sich den anwesenden 150 Hauptstadtjournalisten im "Ballsaal I" präsentierte: die ehemaligen SPD-Bürgermeister von Hamburg Henning Voscherau und Klaus von Dohnanyi, die Gewerkschafterin Monika Wulff-Matthies, der FDP-Ehrenvorsitzende Otto Graf Lambsdorff, Alt-Bundespräsident Roman Herzog, CDU-Staatsrechtsexperte und Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz sowie der grüne Haushaltsexperte Oswald Metzger.

Als erstes greifen die Journalisten routiniert zur Tasse frischgebrühtem Adlon-Kaffee. Es ist 11 Uhr, einige reiben sich noch müde die Augen. Mancher schaut gequält und kann es nicht mehr hören: Von überall tönt die Forderung nach Reform, Umbau, Verschlankung, Entbürokratisierung. Jeder weiß es, doch es tut sich sowieso nichts. Alt-Bundespräsident Herzog spricht als erster und versucht sich räuspernd Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die Lohnnebenkosten müssen gesenkt und die Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Ländern aufgedröselt werden. Politische Entscheidungen müssen wieder transparent werden. Dies ist auch das - berechtigte, aber nicht prickelnde - Mantra des Konvent für Deutschland.

Lauter konsensfähige, sympathische Maßnahmen

In vier Blöcken klappert man routiniert und kompetent die drögen Etappen der Reformbaustelle Deutschland ab: Föderalismusreform, Reform der Finanzverfassung, Reform des Wahlsystems, Haushaltspolitik. Es wurden lauter konsensfähige, sympathische Maßnahmen vorgestellt. "Doch wie erkläre ich meinen Zuschauern auf einfache Weise, was ihn die Föderalismusreform ganz persönlich angeht?" fragt schließlich verzweifelt Claus Kleber, der Moderator des ZDF-heute-journal in der Fragerunde. Niemand begreife dieses komplexe Problem. Ein anderer Journalist kommt der Sache schon näher, warum die plausible Entzerrung der Bund-Länder-Kompetenzen nicht angepackt wird: "Wer ist denn der Profiteur dieser Unübersichtlichkeit und der Doppelkompetenzen? Die Parteien!" Sie könnten doch die Verantwortlichkeiten verschleiern und so einen größeren Versorgungsapparat sicherstellen. Verschlankung bedeute eben immer auch: Wer regiert, kann weniger Posten an die eigenen Günstlinge verteilen.

So lag über der Veranstaltung ein Hauch von Melancholie, weil Reformen gefordert wurden, an denen die eigentlichen Entscheidungsträger überhaupt kein vitales Interesse haben, es sei denn sie würden von der Not dazu gezwungen. Roman Herzog, der am selben Ort als Bundespräsident 1997 seine berühmte "Ruck-Rede" gehalten hatte, fordert erneut die Bejahung von Vielfalt und Ungleichheit, Subsidiarität und den "Mut zur Freiheit". Lambsdorff plädiert für einen staatlichen Wettbewerb zwischen den Bundesländern auch bei den Steuern. Dohnanyi fordert Reformen beim Wahlrecht. "Letztlich entscheiden 20 Personen in Hamburg, welches Personal Politik in der Stadt macht!" Weniger Listen-, mehr Wahlkreiskandidaten, rät der Konvent. Rupert Scholz stellt zu Recht fest, es gebe keine Politik-, sondern eine Parteienverdrossenheit - und dies mit gutem Grund, weil insbesondere die Auswahl des Personals für den Wähler nicht transparent sei.

Dramatisch zeichnet Metzger die haushaltspolitische Lage Deutschlands: Paul Kirchhofs Steuerkonzept sei richtig gewesen, die Vereinfachung des Steuersystems erhöhe den Grenznutzen. Ein NDR-Redakteur bekennt knapp, als erneut "Mut" zu Reformen gefordert wird: "Es fehlt doch bei der Politik nicht am Mut. Es fehlt doch alleine der Wille zu diesen Entscheidungen!"

Deutschland müsse den Wettbewerb ernst nehmen

In einem Resümee richtete Konvent-Chef Henkel den Appell an die Journalisten, gegen die Lethargie anzuschreiben. Deutschland dürfe nicht weiter zurückfallen, es müsse den Wettbewerb zwischen den Nationen ernst nehmen und wieder aus eigener Kraft stark werden, indem es die notwendigen Reformschritte ergreife.

Doch warum bleiben all diese Appelle letztlich so blutleer wie auch die Kampagne "Du bist Deutschland", fragten sich beim anschließenden Empfang einige Journalisten, während sie sich seufzend von Adlon-Kellnern Sekt und Orangensaft servieren lassen. Vielleicht, weil man über den Appell an den kollektiven Egotrip noch nicht hinaus ist. Schwung und Sinn erhält eine Reformdebatte im wohlverstandenen Sinne erst, wenn es ein übergeordnetes, gerade nicht-ökonomisiertes Ziel gibt - wenn es nicht nur um den eigenen Vorteil, die Entlastung auf dem Lohnstreifen des Angestellten und die Erleichterung für einen Unternehmer geht, sondern um die Frage: Soll dieses Land, soll Deutschland wieder ökonomisch und geistig gesunden? Dann ist dies eine emotionale Gemeinschaftsaufgabe, die jeden fordert, ein nationales Ziel im besten Sinne. Das ganze Land könnte sich vom Enthusiasmus der Betreiber des Wiederaufbaus der Frauenkirche eine Scheibe abschneiden: Tausende übten Verzicht und packten an, um eines großen ideellen Ziels willen.

Vielleicht trifft sich ja als erster Schritt der Konvent das nächste Mal nicht im Adlon und spendet das gesparte Geld zusammen mit einem Obolus der Journalisten dem Fonds zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses.

Informationen: Konvent für Deutschland, Dorotheenstraße 35, 10117 Berlin, Tel. 0 30 / 20 45 66 0, www.konvent-fuer-deutschland.de

Foto: Hotel Adlon: Letzte Widerstände gegen den Reformstau beseitigt


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen