© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 45/05 04. November 2005

Politische Unreife
Münteferings Rücktritt offenbart die Machtergreifung der Mittelmäßigkeit
Bernd-Thomas Ramb

Was für ein politisches Kasperletheater! Der amtierende Bundesvorsitzende der SPD, in schwierigen Verhandlungen über eine Große Koalition mit dem einstigen "Erzfeind" CDU/CSU und kurz vor dem Karriereschritt zum Vizekanzler, wird von der die Studentenzeit verlassenden Linksapologetin der SPD, Andrea Nahles, düpiert und zum Rücktritt veranlaßt.

Die 35jährige Ex-Juso-Chefin ließ sich den persönlichen Ehrgeiz und die wahrlich mächtige Wut des linken SPD-Flügels nicht nehmen und setzte ihre Kandidatur für das Amt des Bundesgeschäftsführers im Bundesvorstand durch, gegen den ausdrücklichen personellen Besetzungswunsch Franz Münteferings.

Daß ein Vorsitzender da die Konsequenz der Amtsaufgabe zieht, ja ziehen muß, ist der einzige redliche Aspekt dieser Affäre. Im nachhinein zu jammern: "Wenn man das vorher gewußt hätte, wäre niemals ...", oder jetzt durch das Angebot eines Kandidaturverzichts die Situation verbessern zu wollen, zeugt von einer politischen Unreife, wie sie im Bundestag eigentlich nicht existieren darf.

Dennoch besteht sie. Und sie wird sogar noch verstärkt, sowohl von gestandenen Politikern, wie der langjährigen SPD-Vizechefin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die nun ihr Parteiamt zugunsten von Nahles räumen will (nachdem sie zuvor genau dies verweigert hatte, obwohl die Genossen sie dazu drängten, um eine Kandidatur von Nahles zu verhindern) oder der hessischen SPD-Vorsitzenden Andrea Ypsilanti, die dem alternden Jungstar der SPD-Linken "Zustimmung weit über das linke Spektrum hinaus" attestiert, gleichzeitig aber auch in das "Wenn wir das geahnt hätten"-Lamento verfällt.

Wo ist in der heutigen SPD ein Herbert Wehner, der den Genossen nicht nur den Marsch geblasen hätte, sondern auch alle disziplinlosen Parteigänger nach Strich und Faden niedergebügelt hätte? Politischer Niveauverfall ist bei der SPD nicht nur bei den Heckenschützen aus den hinteren Reihen, sondern längst auch auf der Führungsebene festzustellen. Selbst eingefleischte Gegner der Partei sehnen sich nach der guten alten SPD zurück.

Wie offensichtlich auch der bayerische Ministerpräsident. Edmund Stoiber kann aber nur wenigen seinen Rückzug aus dem potentiellen Kandidatenkreis der künftigen Bundesregierung allein als Reaktion auf die Demontage Münteferings verkaufen. Natürlich ist durch diesen Vorgang das Renommee der SPD als verläßlicher Partner und der Nimbus der vorangegangenen Parteivorsitzenden, sie könnten ihren Laden zusammenhalten, in die Brüche gegangen. Wie weit aber hätte das einer großen Koalition geschadet, und vor allem, was sollte das die Unionsparteien kümmern! Sie können aus der Schwäche des politischen Gegners, selbst wenn er auf absehbare Zeit Koalitionspartner ist, langfristig nur gewinnen.

Nein, auch der CSU-Chef Stoiber spielt diesbezüglich Theater - oder nicht? Er hat nicht akzeptieren wollen, daß die designierte Kanzlerin Angela Merkel nicht so tat, wie er gern wollte. Die von ihm gewünschte Kompetenzerweiterung des Bundeswirtschaftsministeriums um die Forschungspolitik entsprang nicht - wie viele nun hämisch glaubhaft machen wollen - einer Eitelkeit des Bayern, sie war essentieller Bestandteil seines wirtschaftspolitischen Reformkonzepts.

Stoibers Verzicht auf den Wechsel in die Bundesregierung ist deshalb als redlich zu wertendes Spiegelbild des Münteferingschen Rückzugs zu sehen. Aber auch er macht den Weg frei für das nachströmende politische Mittelmaß. Der Bildung einer großen Koalition wird das nicht schaden, ganz im Gegenteil.

Das inhaltliche Gerüst der künftigen Regierung konnte von vornherein auf keinem höheren Niveau angesiedelt werden. Zu sehr sind die beteiligten Parteispitzen dazu verdammt, der mittelmäßigen Mehrheit ihrer Fraktionen Folge zu leisten. Darin liegt die Hauptkrux der aktuellen politischen Lage. Die Qualität der Abgeordneten ist mittelmäßig - bezüglich ihrer Parteidisziplin, bezüglich ihrer reformerischen Ambitionen, bezüglich ihres (die eigene Person und Karriere hintanstellenden) Mutes, dem sie umgebenden Mittelmaß Widerstand zu leisten. Die raren Ausnahmen, wie Friedrich Merz (CDU) oder Oswald Metzger (Grüne), sind allesamt kaltgestellt worden. Das Mittelmaß duldet nur Mittelmaß, sowohl personell wie programmatisch.

Die Ursachen für diese Fehlentwicklung beginnen mit der Verordnung der political correctness und der Tabuisierung politischer - vor allem wirtschaftspolitischer - Themen. Sie führen über die systematische Unterdrückung und Diffamierung seriöser parteipolitischer Alternativen und enden in der permanenten Desillusionierung begabter potentieller Nachwuchspolitiker, denen die praktizierte "Parteiarbeit" widerwärtig ist.

In Frankreich, Großbritannien, Japan, den USA und vielen anderen Staaten wird die Elite des Volkes systematisch an politische Aufgaben in Regierung und Staatsverwaltung herangeführt. In Deutschland erleidet die Elite nicht nur seit Jahrzehnten die machtpolitische Ächtung der Alt-Achtundsechziger, sie wird auch systematisch von politischen Ämtern ferngehalten. Deshalb helfen auch keine Neuwahlen. Bessere Kandidaten als die bereits gewählten sind nicht in Sicht.


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