© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

Frisch gepresst

Der rote Graf. 1995 und 1996 erschien in zwei Auflagen die Biographie des Grafen Harry Keßler, vorgelegt von Peter Grupp, der bei seiner Hauptbeschäftigung mit der Edition der Akten des Auswärtigen Amtes auf diesen Gentleman-Diplomaten und Mäzen gestoßen war. Mit den seit 2003 bei Klett-Cotta erscheinenden Tagebüchern des Grafen, von denen bis heute drei die wilhelminischen Vorkriegsjahrzehnte abdeckende Bände vorliegen, trat der Graf wieder stärker ins öffentliche Bewußtsein, und der Verlag sah die Chance, noch eine Keßler-Biographie zu wagen. Also ließ man Werk von Laird M. Easton übersetzen (Der Rote Graf. Harry Graf Keßler und seine Zeit, Klett-Cotta, Stuttgart 2005, 575 Seiten, Abbildungen, 39, 50 Euro). Das war keine gute Idee, denn bei Easton findet sich kaum etwas, was uns Grupp nicht schon erzählt hat. Nur daß der US-Autor es für nötig befindet, die Lebensstationen des Grafen mit endlosen Zitaten heraufzubeschwören. Man vergleiche einmal das knappe, aber alle Informationen bietende Kapitel über die gemeinsame Arbeit von Keßler und von Hofmannsthal am "Rosenkavalier" mit der sachlich nicht darüber hinausgehenden Zitatenhalde Eastons. Besonders bedauerlich ist es, daß er dann auch das Versprechen des Untertitels nicht hält, uns den Förderer der Künste und linksliberalen Amateurpolitiker "in seiner Zeit" zu präsentieren, da die deutsche Geschichte bei Easton nur ein Schemen bleibt.

Die Zeit. Wer Zeit hat, der könnte auch bald ein wenig Geld haben. Vorausgesetzt, er findet bis Jahresende die Muße, das Rätsel der Preisfrage der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften zu lösen: "Wo bleibt die Zeit?" 5.000 Euro winken dem, der das mit einem Essay oder einer Collage oder sonstwie kreativ beantworten kann. Um die kleinen grauen Zellen an dieses Thema zu gewöhnen, das jedermann locker binnen Tagen genausogut in den Wahnsinn treiben könnte, ackere man erst einmal die leichtfüßig daherkommende "Universalgeschichte der Zeit" von Hans Lenz durch (Marix Verlag, Wiesbaden 2005, 575 Seiten, 14,95 Euro). Man wird dann feststellen, wie wahr Michael Endes Bemerkung ist, mit der der Verlag für dieses Buch wirbt: "ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis - dieses Geheimnis ist die Zeit". Es bleibt ein Trost: Ein Gehirntier wie Heidegger hat es übrigens auch nicht lüften können!


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