© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

Schmerzensmann deutscher Malerei
Brutale Bildcollagen: Bernhard Heisigs Werkschau zeigt den Menschen im Malstrom der Geschichte
Wolfgang Saur

Bernd Heisig ist 80. Nach dem Tod von Wolfgang Mattheuer, Willi Sitte und Werner Tübke gilt der Maler als letzter großer Vertreter der Leipziger Schule. Ihn aktuell zu würdigen, startete man eine Werkschau mit 71 Gemälden und 62 graphischen Arbeiten, die - nach Leipzig (JF 18/05) und Düsseldorf - jetzt im Berliner Gropius-Bau gezeigt wird.

Dessen weiße, weite Räume sind wie geschaffen für Heisigs Großformate: wuchtige Phantasien, Eruptionen der Farbe, zyklopisch aufgetürmte Formen in brutalen Bildcollagen. Es flutet eine dramatische Geschichtslava von Figuren, Symbolen, Todesschreien, zerfetzten Leibern durch den gründerzeitlichen Bau. Heisigs Kunst, eine apokalyptische Furie, kennt nur ein Thema: Ecce Homo, den vergewaltigten Menschen im Schrecken der Geschichte. Flankiert wird die düstere Muse dabei von herrlichen Porträts, monumentalen Persönlichkeitserkundungen des vibrierenden Pinsels: seiner selbst, der Mutter, von Helmut Schmidt (1986), aber auch des sagenhaften Lenin, als sozialistische Huldigung post mortem.

Monströses Panoptikum der Katastrophen-Ikonographie

Der Rundgang gruppiert Heisigs künstlerischen Kosmos nach acht Themenfeldern. Raum zwei entfaltet schon sein Leitmotiv: "Der gescheiterte Historienmaler porträtiert seine Alpträume". Die Bilder zur Pariser Kommune 1871 beschwören eine zerschlagene sozialistische Utopie. An die Todesmaschine der "Festung Breslau" schließt sich der "Preußische Totentanz" an. "Fritz und Friedrich" (1988) führt mehrere Bildtafeln zu vielschichtiger Einheit zusammen. Das Schlüsselwerk, eine Meditation über Prinz und König, lebt ganz in der Spannung der Komplementärfarben Blau/Rot. Visueller Erfindungsreichtum verdichtet sich hier zu einer wahren Ikone Heisigscher Bildwelt. Dessen bohrende Frage nach Unterdrückung und Rebellion führte ihn zum legendären, den Gehorsam verweigernden Christus, der Heisigs Gesichtszüge trägt, vom Kreuz herabsteigt und sich die Dornenkrone von der Stirn reißt.

"Weltlandschaften und Weltbilder" zeigen den Maler als Arrangeur eines monströsen barocken Bildtheaters, der durch seine komplexen Simultanbühnen den Malstrom der Geschichte leitet. Der Sturz von Hoffnungen, das Scheitern aller Projekte gerinnt zum Emblem des "sterbenden Ikarus", während die "Panoramen der Erinnerung" Heisigs monumentale Staatsaufträge dokumentieren.

Heisig wurde 1925 in Breslau geboren. Nach erster künstlerischer Ausbildung meldet er sich 1943 als Freiwilliger zur 12. SS-Panzerdivision "Hitlerjugend", kämpft in der Ardennenschlacht und 1945 in der "Festung Breslau"; danach Kriegsgefangenschaft. Seit 1947 in der SBZ, studiert er in Leipzig und Dresden, wird 1956 Dozent. Seitdem tätig in hohen Ämtern als Hochschul-, Partei- und Verbandsfunktionär, wird er mit zahlreichen Ehrungen und Preisen überhäuft, seit 1977 auch im Westen ausgestellt.

Nach der Wende gerät Heisig in den Fokus des deutsch-deutschen Bilderstreits als "korrumpierter Staatskünstler". Die Kontroverse erreicht 1998 den Höhepunkt anläßlich seiner Ausgestaltung der Reichstagscafeteria.

Die Vorwürfe befremden indes, blickt man auf sein Werk. Heisigs Programmatik darf bundesdeutsches Establishment nicht ernstlich provozieren, das vermochten zunächst nur seine formalen Konzepte und Strategien. So kontrastiert Heisigs aus realistischer Tradition hervorgehende "überquellende Bilderfülle, Erzählfreude und Auseinandersetzungslust" allerdings mit den "endlosen Zweifeln und Hemmungen, ob und wie man noch malen und darstellen kann, soll und darf" (Beaucamp) in der westlichen Kunstkritik.

Dann aber fügt sich Heisigs Genie inhaltlich schnell der bundesdeutschen "Generallinie" ein. Erste Faszination flaut beim Betrachter ab, wendet er sich den thematischen Obsessionen des Malers zu. Da verschluckt ihn bald das monströse Panoptikum einer "Katastrophen-Ikonographie", welche düster von der "ewigen Wiederkehr der Gewalt und Herrschaft des Todes" (Gillen) kündet. Der blendende Formenreichtum enthüllt eine vollkommen traumatische Welt. Sie gründet in Heisigs Kriegserfahrung, die ihn dem Abgrund übergab, aus dem er nicht mehr auftauchte.

Das Grauen verwandelte sich nach 1945 in Schuld. Heisig entwickelte sich zum antifaschistischen Maler und Moralisten. So wimmeln seine Bilder von Uniformen und Hakenkreuzen. Schuldsyndrom und ästhetische Bewältigungsgier stimulierten sich gegenseitig. Als Sohn Walter in den 1970ern seinen Wehrdienst bei der NVA ableistet, packt den Vater eine Schreckvision: Nach 1914, nach 1933 sieht er "den Faschismus" jetzt in der dritten Generation wirksam. Ja, mehr noch: Breslau, das er selbst so verbissen verteidigt hatte, erinnert plötzlich an Friedrichs schlesischen Einmarsch 1740.

Das Grauen verwandelte sich nach 1945 in Schuld

So schließt sich der Kreis. Das Unheil wirkt nicht bloß in der Gegenwart fort, Vergangenheit hat es vorbereitet: natürlich als preußische Geschichte. So weitet sich Nazismus aus zum Unheil schlechthin, und Trauerarbeit zum universellen moralischen Imperativ. Den bestätigt Heisigs "Sirene" (1975), deren gellender Schrei jeden "Schlußstrich" blockiert: "Ich sehe auf Schritt und Tritt immer noch Dinge, die sich aus dieser Zeit herleiten. (...) Potentielle Faschisten befinden sich überall in unserer unmittelbaren Umgebung."

Was dem gesamtdeutschen Ohr vertraut klingt - unisono von Habermas' Invektiven im Historikerstreit bis zur aktuellen Propaganda gegen Rechts. Immerhin ist es dem Maler wirklich ernst. Jenseits politischen Machtkalküls unterwarf er sich dem moralischen Gericht, geht so den Weg als Schmerzensmann deutscher Malerei. Wobei ihm die Universalität des Leidens vor Augen bleibt. Das läßt Anklage zurücktreten vor einer dialektischen Sicht, die uns als "Opfer und Täter zugleich" begreift, "gleichermaßen verstrickt in die Mechanismen von Gewalt und Gegengewalt". So sehr sein Antifaschismus auch die deutsche Katastrophe fokussiert, geht sein entsetzter Blick doch ins geschichtlich Ganze, um überall nur Schande, Gewalt und Scheitern wahrzunehmen. Das 20. Jahrhundert wird so zum Angelpunkt des Lebens überhaupt, das als tragischer Zerstörer Trümmer auf Trümmer häuft. Der Fatalismus solcher Kunst harmoniert nun völlig mit Adornos "negativer Dialektik" etwa, die jede positive Setzung nur mehr abräumt und postmetaphysisch den Impuls des Überschreitens einfriert. So stellen auch Heisigs Exegeten befriedigt fest: "Eine Transzendenz des Schreckens zu einer höheren Sinnhaftigkeit ist nach Auschwitz und dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr möglich, sondern nur Immanenz im Sinne einer strukturellen Angleichung des Werks an das Unerhörte und Unvorstellbare" (Gillen).

Solch polymorpher Atheismus gilt heute als Geschäftsgrundlage, außer Konsens stellt jeder sich, der ihn befehdet. West- und mitteldeutsche Intellektuelle haben hier einander gefunden, ihre morbide Weltanschauung aufgetan. Mißtrauisch hatten die Genossen einst solch wüsten Pessimismus beäugt, ein geschichtsphilosophisches "Floß der Medusa" paßte kaum in ihr zukunftsgläubiges Aufbauprogramm. Um so leichter gehen heute die fraktalen Totentänze auf im entnervten Kulturbetrieb.

Spätmoderner Negativismus behauptet die Einlösung humanen Potentials nur im existenziellen und formalen Scheitern. Jedes ideelle Überschreiten, alle geistige Integration, jede schlüssige Gestalt und finale Versöhnung werden denunziert als Sinn- und Gemütskitsch, falsches Bewußtsein und "Verhöhnung der Opfer". Auch das ein Terror, der uns mental gefangen hält. Von ihm gilt es sich freizumachen. Was dann auch Bernhard Heisig mitbetrifft. Respekt bleibt seiner Würde und dem Werk.

Das schöpferische Leben freilich trennt sich ab vom dumpfen Todesritus der in sich drehenden, schlechten Unendlichkeit.

Bernhard Heisig, "Christus verweigert den Gehorsam II" (Öl auf Leinwand, 1986/88): Bohrende Frage nach Unterdrückung und Rebellion

Die Ausstellung ist bis zum 29. Januar 2006 im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7, täglich außer dienstags 10 bis 20 Uhr zu sehen. Internet: www.bernhard-heisig.de 


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