© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

Auferstanden aus Ruinen
Überwältigende Schönheit: Am Sonntag findet die Weihe der wiedererrichteten Frauenkirche statt
Doris Neujahr

Die Wiedererrichtung der Dresdner Frauenkirche hätte ein Modell sein sollen für Deutschland seit 1989. Ein himmlisches Bauwerk, errichtet zum Lobe des Herrn und als Krone über einer der schönsten Städte Europas, 1945 von Bomben zerstört, ist wieder da, sichtbar, begehbar, erlebbar.

Der Bau macht Geschichte nicht ungeschehen, aber er beweist, daß Zerstörung und Nihilismus nicht die letzten Worte sein müssen. Wieviel Energie, Optimismus und Zukunftshoffnung ging Anfang 1990 von dem "Ruf aus Dresden" aus, mit dem der Wiederaufbau begann! Dresdner, DDR-Bürger, die sie damals noch waren, hatten die Angelegenheit energisch in die Hand genommen. Im Westen war man beeindruckt und begriff das Projekt als das eigene. Kommune, Land, Bund arbeiteten Hand in Hand, Wirtschaft und Banken zeigten sich großzügig und stellten ihre Logistik zur Verfügung. Vor allem kam die Initiative nicht von oben, sondern aus der Mitte der Bürgerschaft. Auch das Ausland nahm Anteil, es flossen Spenden in Millionenhöhe.

Wenn am kommenden Sonntag das Gotteshaus geweiht wird, werden Freude, Dankbarkeit und Rührung die Stadt beherrschen. Aber Dresden wird dann weder Modell noch Stimmungsbarometer für das Land sein, sondern eine temporäre Insel im Meer der deutschen Depression, wo man die wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Probleme als Zeichen des Untergangs deutet. Die neue Frauenkirche, anstatt deutschlandweit Optimismus und Selbstvertrauen zu stiften, steht außerhalb der Zeit. Warum das? Offenbar läuft etwas falsch in den Tiefenstrukturen der kollektiven Psyche.

Einen Hinweis darauf geben die hohen, falschen Töne von Politikern, Kirchen-, Medienleuten, die den Wiederaufbau begleitet haben. Der Diskurs über die "Vergangenheit" ist in den letzten Jahren entspannter geworden, sicher, gefangen im Teufelskreis bleibt er trotzdem. Auch jetzt werden die Redner klarstellen, daß der Kirchenbau eines auf gar keinen Fall sein darf: ein Symbol der Aussöhnung der Deutschen mit sich und der eigenen Geschichte.

Dafür wird es viel Versöhnungs- und Gesinnungskitsch von der Sorte "Dresden-Coventry" geben, und Sprecher aus dem profanen und religiösen Gewerbe werden sich über die Lehren aus der deutschen Geschichte verbreiten. Opfergedenken wird es nur in einem Funktionszusammenhang geben, das heißt, es muß sich in das Dogma einfügen, daß die Zerstörung Dresdens und der Frauenkirche eine Rückkehr des Bösen bedeutete, das von Deutschland - und zwar von ihm allein - seinen Ausgang genommen hatte. Deutsche Opfer waren allenfalls "Hitlers Opfer" und damit der eigenen Hybris, denn sie hatten ihn ja selber gewählt und unterstützt. Sie hatten bekommen, was sie verdienten, und daher liegt ihr Opferstatus, falls überhaupt vorhanden, auf einer minderen Ebene. Das ist ein entscheidender Punkt, denn das Opfer setzt diejenigen, die es erbringen, in eine Beziehung zu Gott und eröffnet ihnen die Möglichkeit, vor ihm Gnade zu finden.

Der Ausmaß des Frevels, der darin liegt, den Deutschen ihre volle Opferfähigkeit zu bestreiten, läßt sich mit Giorgio Agambens Studie über den "Homo sacer" erfassen. Dieser ist gegenüber den Instanzen auf sein nacktes Leben reduziert und damit schutzlos. Agamben zitiert den römischen Lexikographen Sextus Pompeius Festus: "Sacer aber ist derjenige, den das Volk wegen eines Delikts angeklagt hat, und es ist nicht erlaubt, ihn zu opfern; wer ihn jedoch umbringt, wird nicht wegen Mordes verurteilt (...). Daher pflegt man einen schlechten und unreinen Menschen sacer zu nennen."

Die Funktion des schlechten, unreinen Menschen, der von der Opferfähigkeit ausgeschlossen ist, wird vom deutschen "Tätervolk" eingenommen. Nicht nur, daß es nicht geopfert werden durfte, seine Tötung war ausdrücklich zulässig und kein Sakrileg. Diese Ausschließung bedeutet eine doppelte Ausnahme, nämlich im Bereich des Religiösen wie des Profanen. Sie geht auf eine politische Entscheidung des Souveräns zurück, die dieser während des Ausnahmezustands fällt. "Souverän ist die Sphäre, in der man töten kann, ohne einen Mord zu begehen und ohne ein Opfer zu zelebrieren, und heilig, das heißt tötbar, aber nicht opferbar, ist das Leben, das in diese Sphäre eingeschlossen ist."

Die bedingungslose Niederlage Deutschlands war ein Ausnahmezustand par excellence. Es lag in der Souveränität der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, seine Geschichte festzuschreiben und zu dekretieren, daß nur Verbrechen verfolgt würden, die Deutsche begangen hatten, aber keine Verbrechen, die an ihnen begangen wurden. Damit war auch ihr Opferstatus aufgehoben. Würde er jetzt vollgültig im religiösen Sinne anerkannt, würde das auf der profanen Ebene Fragen nach der politischen und juristischen Verantwortlichkeit auslösen. Damit wären die Interessen des Souveräns und die politische Statik in Europa tangiert.

Die frevelhafte Geschichts- und Gedenkpolitik einerseits, die Endzeitstimmung, das kollektive Gefühl der Vergeblichkeit und Machtlosigkeit anderseits, sie sind also neurotischer Ausdruck fehlender Souveränität und eines permanenten Ausnahmezustands in Deutschland. Deshalb verdienen die Redner von Dresden schon vorab alle Nachsicht. Der Zwiespalt, dem sie ausgesetzt sind, ist nicht zu überbrücken. Einerseits müssen sie dem Schicksal der Kirche, der Stadt und des Landes ein Mindestmaß an Gerechtigkeit und Empathie zukommen lassen, andererseits dürfen sie die über das Land verhängten Regeln nicht verletzen. Deswegen fällt die Frauenkirche in ihrer überwältigenden Schönheit völlig aus der Gegenwart. Gott sei Dank!

Foto: Dresdner Frauenkirche mit Luther-Denkmal: Eine temporäre Insel im Meer der deutschen Depression


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