© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 44/05 28. Oktober 2005

Fürsorge statt Freiheit
Polen I: Das Versprechen von Recht und Gerechtigkeit verhalf Lech Kaczynski zum Sieg
Andrzej Zalucki

Am Sonntag äußerten sich die Polen dazu, welches Polen sie nun haben wollen. Seit den Parlamentswahlen im September wußten sie, daß die in der Wahlkampagne zerstrittenen Parteien Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Bürgerplattform (PO) regieren werden: in einer rechtszentristische Koalition.

Während des Wahlkampfes versprachen die PiS-Politiker einen sozialen, bürgernahen, gerechten Staat mit einer Umverteilung der Güter. Die PO-Politiker versuchten vorsichtig daran zu erinnern, daß diese Güter zuerst erwirtschaftet werden müßten. Die richtigen Entscheidungen treffe der freie Bürger besser, als irgendein zentralistischer Planer dies trotz bester Absichten könnte.

Die Wahlkampagen versprachen die gemeinsame Schaffung eines anderen Polen: ohne Korruption, ohne Vorherrschaft der Beamten und Beziehungen. Die gegenseitigen Angriffe und das Bewerfen mit Dreck im Wahlkampf schwächte aber wesentlich den Glauben der Wähler an eine starke und weise Regierung - also eine andere als die vorherige. Da wurden Erinnerungen wach, als die aus demselben Solidarnosc-Stamm herausgewachsenen AWS-Politiker gleich nach dem Sieg 1997 in Zank gerieten und auseinandergingen.

Der unterlegene Donald Tusk (PO) wie der Wahlsieger Lech Kaczynski (PiS) entstammen der Solidarnosc-Bewegung. Ihre Leute verfügen über die Mehrheit im Parlament, sie werden sowohl in der Regierung als auch in den Dienststellen des Staatspräsidenten präsent sein. Nach der gegenseitig zerstörerisch geführten Wahlkampagne werden sie nun gemeinsam für die Zukunft ihrer Landsleute Rede und Antwort stehen müssen.

Die Sonntagswahl war also ein Art symbolische Akzeptanz der zugespitzten Differenzen: "Ich will mehr bürgerliche Freiheiten und Bestimmung über mich selbst" (Tusk) - oder "Ich rechne mit der Fürsorge des Staates, welcher durch seine Beamten über mein Schicksal zu bestimmen hat" (Kaczynski). Es wurde nun die zweite Variante gewählt.

Entschlossener gegenüber Rußland und Deutschland

Kaczynski fand seine Mehrheit in den ländlichen Gegenden, in den wirtschaftlich schwachen östlichen Woiwodschaften, bei den Menschen, die um ihre Zukunft bangen, die ohne klaren Beistand seitens des Staates sind. Sie hoffen, daß Präsident Lech Kaczynski hier Abhilfe schafft, daß sie etwas mehr Geld erhalten. Von der Rechtschaffenheit seiner Leute fest überzeugt, wird Kaczynski eher auf die Stärke der Staatsmacht als auf die "freie Wahl" der Bürger setzen - in gesellschaftlichen wie ökonomischen Bereichen.

Kaczynski glaubt, daß die amtliche Staatssteuerung die Wirtschaft kräftig ankurbeln wird, was die Verringerung der Arbeitslosigkeit und damit eine Budgetsteigerung zur Folge hätte. Auf außenpolitischer Ebene bedeutet Kaczynskis Sieg ein hartes Beharren auf nationalen Rechten mit dem Hinweis, daß auf Polen Rücksicht genommen werden muß - den kompromißlosen Faustschlag auf den Tisch miteingerechnet, wenn es die Staatsräson verlangen sollte. Auf die Unterstützung der USA zählend, wird er entschlossener gegenüber Rußland und Deutschland auftreten. Während seiner ersten Stellungnahme nach der Wahl meinte Kaczynski, er werde mit der Vergangenheit abrechnen, aber auch die Versöhnung suchen.

"Vieles hängt von meinen Freunden von der Bürgerlichen Plattform ab", meinte er einlenkend, um die unliebsamen Spuren der Wahlschlacht zu verwischen. Lech Kaczynski wird mit gesetzgeberischen Initiativen aktiver einwirken als sein Vorgänger Aleksander Kwasniewski. Und er wird bemüht sein, mehr Macht zu haben als seine Vorgänger.

 

Andrzej Zalucki ist Chefredakteur der Warschauer Tageszeitung "Zycie Warszawy".


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