© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/05 21. Oktober 2005

Ein reiches Erbe wird verschenkt
Im Geiste Witikos: Tschechisch-deutsche Erinnerung an Adalbert Stifters 200. Geburtstag / Deutsche Minderheit schrumpft
Martin Schmidt

Der Geburtstag des deutschböhmischen Schriftstellers Adalbert Stifter jährt sich am 23. Oktober zum zweihundertsten Mal. Aus diesem Anlaß findet am 22./23. Oktober in seinem südböhmischen Geburtsort Oberplan (tschech. Horní Planá) ein gemeinsames tschechisch-deutsch-österreichisches Stifter-Wochenende statt. Veranstalter sind die Stadt Oberplan, der Kreis Südböhmen, das Regionalmuseum Krummau, das Adalbert-Stifter-Zentrum, der Adalbert-Stifter-Verein München sowie der örtliche Verein zur Erneuerung und Entwicklung des Stifter-Parkes am Gutwasserberg.

Die verschiedenen Programmpunkte beinhalten unter anderem zweisprachige Gottesdienste, die Besichtigung des Geburtshauses, einen Musik- und Liederabend bzw. einen Literaturabend im Stifterzentrum und eine Kranzniederlegung am Adalbert-Stifter-Denkmal. Beteiligt sind tschechische, bundesdeutsche und österreichische Referenten, Musik- und Tanzgruppen.

Noch bis zum 30. Oktober ist darüber hinaus eine Ausstellung unter dem Titel "Adalbert Stifter in Bildern und Texten" zu sehen, die das Stifter-Zentrum gemeinsam mit dem Kulturreferat des Bundesverbandes der Sudetendeutschen Landsmannschaft präsentiert und die eigens ins Tschechische übersetzt wurde, "um Menschen deutscher wie tschechischer Muttersprache gleichermaßen Zugang zu Adalbert Stifter finden zu lassen".

150 Veranstaltungen zu Werk und Person Stifters

Mit den Oberplaner Jubiläumsfeierlichkeiten findet das Stifter-Jahr 2005 seinen Höhepunkt und Abschluß. Insgesamt gab es in den zurückliegenden Monaten in Südböhmen, Bayern und Oberösterreich ungefähr 150 Veranstaltungen zur Person und zum Werk des Dichters (siehe im Internet unter www.Stifter2005.at ). Zu Adalbert Stifters wichtigsten Zielen als Autor gehörte die Verdeutlichung des tiefen historischen Bandes zwischen den in Böhmen lebenden Tschechen und Deutschen. Sein opulenter, 1865/67 in drei Bänden erschienener Roman "Witiko" ist vor allem diesem Thema gewidmet.

Das mittelalterliche Prosaepos über den aus einem deutsch-tschechischen Elternhaus stammenden Begründer der südböhmischen Adelsdynastie der Rosenberger gilt als Stifters umstrittenstes, weil extravagant erzähltes Hauptwerk, dessen literaturgeschichtliche Bedeutung allerdings außer Frage steht. Nicht von ungefähr residiert Witiko in der Gegend des späteren Oberplan, dem der Dichter trotz seiner jahrzehntelangen Aufenthalte in Wien und Linz zeitlebens verbunden blieb.

Heute verdient das 1332 erstmals urkundlich erwähnte Städtchen am "Südböhmischen Meer" - einem imposanten Stausee der Moldau - sowie unweit der Unesco-Weltkulturerbe-Stadt Krummau nicht nur wegen seiner touristischen Reize und der Erinnerung an Adalbert Stifter Aufmerksamkeit. Es ist auch eines der Zentren der Besinnung auf das reiche Erbe jahrhundertelanger deutscher Präsenz in Böhmen.

In Oberplan besteht seit April 2003 das bereits genannte zweisprachige Adalbert-Stifter-Zentrum, welches eigenen Angaben zufolge "nach den Wirren und Verirrungen von Krieg, Vertreibung und kommunistischer Despotie als Gemeinschaftsleistung von dieser Region entstammenden Deutschen und Tschechen entstanden ist". Zum Emblem des Studienzentrums wurde die Rose als das heraldische Symbol Witikos und der Rosenberger gewählt. Initiator und Leiter des Adalbert-Stifter-Zentrums ist Horst Löffler, einst Bundesgeschäftsführer der Sudetendeutschen Landsmannschaft. Für Löffler ist die Bewußtmachung der Vergangenheit und vor allem der Gegenwart von Deutschen in Böhmen eine Herzensangelegenheit.

Österreich investierte nie in die Heimatverbliebenen

Das unabhängige Tagungszentrum in Oberplan, wo Löffler 1940 geboren wurde, soll der heimatverbliebenen deutschen Minderheit in Tschechien als kulturpolitischer Mittelpunkt dienen. Unverständlicherweise erhält das Zentrum keinerlei offizielle bundesdeutsche oder österreichische Förderung. Auch sonst sind die von Berlin seit 1992 bewilligten Finanzhilfen zugunsten der Deutschen in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien stark rückläufig. Der Zeitpunkt, da hier überhaupt keine Gelder mehr fließen, ist absehbar.

Noch schlimmer sieht es in bezug auf Österreich aus, das noch nie etwas investierte, obwohl (oder gerade weil) Böhmen vor 1918 bekanntlich zu seinem Staatsgebiet gehörte. Selbst der Bundesverband der Sudetendeutschen Landsmannschaft leistet - anders als etwa der Landesverband Baden-Württemberg - keinerlei Finanzhilfe für die heimatverbliebenen Deutschen. Man konzentriert sich hier ganz auf die "hohe Politik" und die Vertriebenen-Traditionspflege im Bundesgebiet. Dies wird von Sudetendeutschen wie Löffler stark bemängelt, zumal es andere - erfolgreichere - Alternativmodelle wie das der Karpatendeutschen Landsmannschaft gibt, die trotz ihrer geringen Größe maßgeblich dazu beigetragen hat, daß die karpatendeutsche Volksgruppe in der Slowakei heute vergleichsweise gut dasteht.

Letzteres läßt sich für die Deutschen auf dem Territorium Tschechiens wahrlich nicht sagen. Nach der Vertreibung waren noch rund 300.000 Deutsche in der seinerzeitigen Tschechoslowakei verblieben. Zumeist handelte es sich um dringend benötigte Facharbeiter oder Angehörige von sogenannten Mischehen. Alle wurden sie zu Opfern der Enteignung bzw. totalen Entrechtung der Sudetendeutschen. Viele sahen sich überdies einer "inneren Vertreibung" ausgesetzt, das heißt einer Umsiedlung aus der Heimatregion in andere Landesteile. Am Schluß der ersten Dekade brutaler Assimilierungspolitik stand die zwangsweise Einbürgerung 1955.

Viele Deutsche in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien nutzten vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen bereitwillig die sich später bietenden Möglichkeiten der Ausreise ins Bundesgebiet, zunächst im Zuge einer tröpfchenweisen Familienzusammenführung, dann 1968 in einer dank des "Prager Frühlings" möglich gewordenen Massenausreise.

Schließlich blieben nur noch etwa 100.000 Deutsche übrig. Die Assimilierung setzte sich in subtilerer Weise fort, so daß die nachwachsenden Generationen in gemischten Familien zunehmend der deutschen Nationalität entfremdet wurden. Das Ergebnis offenbarte sich in den Volkszählungen von 1991 und 2002, als sich nur noch rund 50.000 bzw. 39.000 Personen als Deutsche bekannten.

Die mittlere und jüngere Generation spricht heutzutage das Deutsche in der Regel nicht mehr als Muttersprache, und sogar ältere Menschen fallen im Gespräch untereinander häufig ins Tschechische. Eine eigene Minderheitenschule existiert nur in Prag (auch diese erhält bezeichnenderweise keine Hilfsgelder aus Berlin).

Dort gibt es außerdem eine Deutsche Auslandsschule für Kinder der mittlerweile in großer Zahl in der Moldaustadt lebenden bundesdeutschen Politik-, Wirtschafts- oder Tourismusvertreter. Kontakte dieser beispielsweise auch im Egerland zahlreich zu findenden Binnendeutschen zu den einheimischen Landsleuten bestehen nicht. Das dafür nötige Wissen und Interesse fehlt ganz offensichtlich.

Anders wäre es auch nicht zu erklären, warum in Budweis ein deutscher Kindergarten für Mitarbeiter der Firma Bosch besteht, der von in der Region lebenden Kindern aus Familien der deutschen Minderheit nicht genutzt werden kann. Der Volksgruppe selbst mangelt es fast völlig an akademisch ausgebildeten Menschen, was sich nicht zuletzt am teils völlig unzureichend qualifizierten Führungspersonal ihrer Interessenvertretungen offenbart.

Der deutschen Volksgruppe fehlen Akademiker

Trotz der geringen Zahl ist man intern gespalten: organisatorisch in den "Kulturverband" (Nachfolger der einstigen kommunistisch gesteuerten Minderheitenvertretung mit etwa 4.000 Mitgliedern) und den größeren Landesverband der Deutschen in Böhmen, Mähren und Schlesien mit 12.000 Mitgliedern bzw. publizistisch in die Prager Volkszeitung und die Landeszeitung. Der tschechische Staat stellt für beide Verbände Finanzhilfen bereit und unterstützt damit - sicherlich bewußt - die lähmende organisatorische Uneinigkeit.

Dementsprechend düster fällt die Prognose Horst Löfflers aus, wenn er betont: "Ohne äußere Unterstützung wird die deutsche Minderheit in der Tschechischen Republik nicht überleben!" 

Foto: Adalbert Stifter (1805-1868): Der böhmischen Heimat verbunden

Kontakt: Adalbert-Stifter-Zentrum/Centrum Adalberta Stiftera, Jiráskova 168, CZ-38226 Horní Planá (Oberplan)

E-Post: cas.asz@horniplana.cz , Internet: www.stifter-centrum.cz


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