© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 43/05 21. Oktober 2005

Der prophylaktische Teufelskreis
Landwirtschaft: Antibiotika in der Tierfütterung bergen enorme Gefahren für den Menschen / Immer mehr Resistenzgene
Michael Howanietz

Neben ethischen Fragwürdigkeiten gerät die Massentierhaltung zunehmend wegen ihrer Fütterungsmethoden in die Kritik. Hochleistungen sind in der Landwirtschaft nur dank intensiver Produktionstechniken möglich. Neben der Verfütterung stärke- und eiweißreicher Diäten kommt es zur routinemäßigen Anwendung von Antibiotika als "Leistungsförderer". Mit ihrer Hilfe läßt sich nicht nur das Wachstum der Tiere beschleunigen. Auch bedenkliche Haltungs- und Hygienebedingungen werden durch die prophylaktische Verabfolgung von Medikamenten kaschiert. Relevantestes Problem dieser Praxis ist die Tatsache, daß zahlreiche Antibiotika für die medizinische Anwendung unwirksam wurden, da sich Resistenzgene gegen verwandte Fütterungsantibiotika ausgebreitet haben.

Davon unbenommen sind in der EU immer noch antibiotische Futtermittel auf dem Markt. In den Ländern der Europäischen Union werden jährlich Tausende Tonnen Antibiotika an Schweine, Rinder und Geflügel verfüttert. Mit dramatischen Folgen für den Konsumenten. Nach einer Schätzung der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene sterben in Deutschland jährlich über 20.000 Menschen an den Folgen von Infektionen, gegen die Antibiotika ihre Wirkung verloren haben.

Die mit pharmakologischer Hilfe zwar unwürdig aber "gesund" gehaltenen Tiere scheiden bis zu 90 Prozent der ihnen verabreichten Arzneimittel wieder aus. Mit Mist und Gülle gelangen die Antibiotika auf die Felder. Sie sind in Flüssen und selbst im Grundwasser nachweisbar. In Deutschland fanden sich Abbauprodukte von Antibiotika sogar im Trinkwasser. Solcherart bezahlt selbst der "eingefleischteste" Vegetarier seine Zeche für fremde Fleischeslust.

Eine großangelegte Studie versucht nun die Zusammenhänge von Haltungsbedingungen, Fütterungspraxis und daraus folgender Keimresistenz zu ergründen. Außer Zweifel steht, daß im Zuge der Arzneimittel-Verfütterung immer mehr Bakterien gegen Antibiotika resistent werden, auch solche, die dem Menschen gefährlich werden können. Wissenschaftler der Universität Bonn untersuchen deshalb, wie die Wirkstoffe im Boden gebunden werden.

Auf einem mit sulfadiazinbelasteter Gülle gedüngten Acker läßt sich bereits nach Stunden nur noch die Hälfte der ausgebrachten Substanz nachweisen. Nach einem Monat scheint gar kein Sulfadiazin mehr im Boden vorhanden zu sein. Der Schein trügt. An Humus und andere Bodenbestandteile gebunden oder in kleinen Bodenporen eingeschlossen, ist unverändert präsent, was nicht mehr auffindbar scheint.

Ungefährlichere pflanzliche Wirkstoffe noch in Erprobung

Die gefährliche Wirkung des Sulfadiazins ist eine zweifache. Einerseits werden Bodenbakterien abgetötet, wodurch das natürliche Gleichgewicht der Mikroorganismen nachhaltig gestört wird. Zweitens besteht die Gefahr einer im Boden vollzogenen Anreicherung resistenter Bakterien, die ihre Resistenzgene später an menschliche Krankheitserreger weitergeben können - mit nicht selten tödlichen Konsequenzen für erkrankte Menschen, wie einschlägige Studien belegen.

Die Methoden, mit denen deutsche Forschergruppen die tatsächlichen Vorgänge in den Böden nachweisen wollen, sind höchst aufwendig. Zunächst wird das mit Sulfadiazin kontaminierte Erdreich mit Wasser "gewaschen". Es folgt eine Messung, wieviel Antibiotikum aus dem Boden gelöst werden konnte. Anschließend wird in weiteren Extraktionsschritten zu immer aggressiveren Verfahren gegriffen. Nach jedem einzelnen Durchgang erfolgen Analysen, die den Antibiotikagehalt des gewonnenen Extraktes verifizieren.

Auf diese Weise wird zweierlei festgestellt. Erstens wie rasch und wie stark Sulfadiazin im Boden festgehalten wird. Zweitens wieweit unterschiedlich lange "gealtertes" Sulfadiazin noch für Verlagerungsprozesse und Bodenorganismen zugänglich ist.

Um sämtliche, von den an den Experimenten beteiligten Arbeitsgruppen gewonnenen Ergebnisse vergleichen zu können, lagern am Forschungszentrum Jülich mit Antibiotika kontaminierte Bodenproben. Aus den unter kontrollierten Bedingungen bei zehn Grad Celsius verwahrten 450 Kilogramm Erdreich beziehen die Forschergruppen ihre Proben.

Um sichere Nachweismethoden entwickeln und Kontrollexperimente durchführen zu können, produziert das Versuchsgut Frankenforst antibiotikafreie "Referenz-Gülle". Diese zu erhalten, zogen die Mitarbeiter des Bonner Gutes ihre Schweine völlig ohne Antibiotika auf. Eine für Landwirte, ob des wirtschaftlichen Risikos, heute kaum leistbare Praxis. Im Krankheitsfall gingen Tiere und damit Einnahmen verloren, weil auf den Einsatz von Tier-Arzneimitteln verzichtet wurde. Fürwahr ein Teufelskreis.

Dabei böten sich vielversprechende Alternativen zur inflationären Antibiotika-Fütterung an. Pflanzliche Wirkstoffe, die die Gesundheit der Nutztiere gewährleisten könnten, ohne jene des Menschen zu gefährden, befinden sich derzeit - und damit verspätet - in der Erprobungsphase. Einmal mehr bestätigt sich das alte Wort, wonach menschliche Unbedarftheit immer wieder nur aus Schaden klug wird.


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