© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Nach drei Jahrhunderten
Zwischen Tschechen und Amerikanern
Erna Back, Oerlenbach

Unsere Familie lebte in Wilkowitz auf einem Bauernhof, der schon seit 1694 im Besitz der Familie Schott war. Hier wurden 38 Hektar, aufgeteilt in Feld, Wiesen und Wald, bearbeitet. Im Nachbarort Martnau waren wir auch im Besitz eines Hofes, den unsere Mutter mit in die Ehe gebracht hat. Wir waren zehn Geschwister, zwei meiner Brüder sind im Krieg gefallen. Unser Vater war Ortsbauernführer. Er wurde im August 1945 bei Feldarbeiten vom tschechischen Militär weggeholt und in das "Internierungslager" Rennbahn nach Marienbad gebracht. Hier wurde er von tschechischer Miliz täglich mit Gummiknüppeln mißhandelt. Frauen und Mädchen wurden gezwungen zuzusehen.

Unser Hof wurde mit einem tschechischen Kommissar besetzt, der von der Landwirtschaft überhaupt keine Ahnung hatte. Er war nicht imstande, verschiedene Sorten von Getreide auseinanderzuhalten. Angekommen ist er ohne jegliches Gepäck, nur mit den Kleidern, die er am Leibe trug. Schon am nächsten Tag hatte er von meinem gefallenen Bruder Kleidungsstücke an. In kurzen Abständen kam dann seine ganze Familie nach. Aus diesem Grunde mußten wir unseren Hof verlassen.

Am 6. Oktober 1945 abends kamen zwei Tschechen mit der Nachricht, daß wir zur Zwangsarbeit in die Inner-Tschechei eingeteilt waren. Wir sollten uns für den nächsten Tag bereithalten. Darauf fuhr ich mit unserem Knecht mit Fahrrädern nach Marienbad. Wir wollten versuchen, ob uns die US-Amerikaner über die Grenze nach Bayern bringen könnten. Einer von ihnen sagte uns, wir sollten am nächsten Tag früh in Marienbad sein, sie nähmen uns dann mit über die Grenze.

Als wir wieder zu Hause waren, stand vor jeden Tor und jeder Tür ein Tscheche, die uns nicht mehr außer Haus gelassen haben. So wurden wir vom Sohn des Kommissars früh zum Bahnhof nach Marienbad gebracht. Dort haben die Amerikaner meinen Bruder, der im Krieg dreimal verwundet war, allerdings wieder heimgeschickt. Meine Mutter bekam einen Nervenzusammenbruch und durfte mit meinem kleinen zehnjährigen Bruder auch wieder nach Hause. Sie und mein ältester Bruder mußten den Stall mit vierzig Rindern allein versorgen. Mein kleiner Bruder mußte die Kommissarsfamilie jeden Tag mit dem Pferdegespann nach Marienbad fahren.

Meine vier Schwestern und ich wurden mit sechzig Personen in einen Viehwaggon geladen und ins Ungewisse gefahren. Das Lager Jicin sollte schon überfüllt sein und der Transport daher nach Sibirien geleitet werden. Das ist dann doch nicht eingetroffen. Wir kamen nachts im Lager an und mußten uns dann zu einer fremden Person ins Feldbett legen. Das Lager war übersät mit Ungeziefer. Morgens mußten wir uns auf der Straße aufstellen. Dann kamen tschechische Bauern und suchten sich die Leute für die Arbeit aus. Drei Schwestern von mir kamen in ein Nachbardorf auf einen Gutshof. Wir waren dreizehn Deutsche zum Arbeiten und fünf tschechische Aufseher.

Die Unterbringung spottete jeder Beschreibung. Es gab kein elektrisches Licht, nur eine Petroleumlampe. Wir bekamen wenig zu essen. Für zehn Tage erhielt jede Person einen Laib Brot und eine Tasse Zucker. Durch Zufall haben wir erfahren, daß ein Transport nach Hause ging. So kamen wir drei Geschwister einige Tage vor Weihnachten 1945 wieder heim. Die anderen zwei Schwestern waren vierzig Kilometer von uns entfernt - wir konnten sie nicht erreichen oder gar benachrichtigen. Die beiden kamen erst im März 1946, zwei Tage vor der Vertreibung, wieder auf unseren Wilkowitzer Hof. Lohn für die Arbeit bekamen wir nicht.

Am 7. März 1946 mußten wir unsere Heimat mit fünfzig Kilo Gepäck für immer verlassen. Wir kamen ins Aussiedlerlager Flugplatz Flaschenhütte. Am 12. März 1946 wurden wir vom Bahnhof Marienbad über Wiesau nach Schweinfurt gebracht.


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