© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Erbstück
Ausfuhr von Edelmetall verboten
Rudi Helwing, Leipzig

Die Frauen im Lager wußten, daß meine Mutter als einzige noch eine Uhr besaß. Der Güterzug, der uns "ins Reich" bringen sollte, wurde zum Einstieg freigegeben. Doch Mutter durfte die Sperre nicht passieren, sie wurde zur Vernehmung in einen Raum unter dem Königsberger Hauptbahnhof geholt. Die Vernehmerin in Offiziersuniform der Roten Armee wußte, was sie suchte. Woher wohl? Sie wog die Wollknäuel in der Hand und bedeutete Mutter das eine, es war schwerer als die beiden anderen, zu öffnen. Zum Vorschein kam die wertvolle Uhr. Ein Familienerbstück, das schon ihre Großmutter besessen hatte.

Nun sollte sie, dies letzte ihr nicht nur materiell teure Stück, das sie bis hierher so wundersam gerettet hatte, doch noch hergeben? Ob die Mutter nicht wüßte, daß die Ausfuhr von Edelmetallen aus der Sowjetunion unter Strafe stehe? Alles Bitten, ihr die Uhr doch zu lassen, war vergebens. Wenn sie nicht sofort damit aufhöre, würde der Zug ohne sie abfahren. Auf dem anderen Gleis stehe ein Zug, der nach Osten fahren würde. Das wirkte. Und auch nur weil sie durch Arbeit Wiedergutmachung geleistet habe, wolle man von einer Bestrafung absehen, sagte die Rotarmistin.

Das war Ende Oktober 1948, dreieinhalb Jahre nach der ersten Befreiung, nun die "Befreiung" von dieser - vorletzten - Habe. Denn ein Leinenhandtuch aus ihrer Hochzeitsaussteuer mit Monogramm F. V. (Frida Voß) durfte sie behalten. Es ist das einzige Erbstück, das mir von unserem Hof in Ostpreußen geblieben ist. Für mich von unschätzbarem ideellem Wert.


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