© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

CD: Klassik
Entdeckungsreise
Andreas Strittmatter

Eigentlich kann man auch heute noch sagen, daß Oper in Rom verhindert wird - immerhin mischt das Teatro Dell' Opera di Roma in der Liste der besonders desaströsen Musentempel alle Jahre und immer mal wieder kräftig mit. Wenn Cecilia Bartoli auf ihrer gleichnamigen CD nun "Opera proibita" römischen Herkommens präsentiert, sind dennoch nicht jene Werke gemeint, deren Aufführungen von streikenden Bühnenarbeitern oder anderen Mißgeschicken vereitelt worden sind.

Einmal mehr unternimmt Cecilia Bartoli mit ihrem charaktervollen Mezzosopran eine Reise in die Vergangenheit, in das barocke Rom, das Herz der Gegenreformation, von den Päpsten (meist) mit fester Hand regiert. Die höchste geistliche Gewalt auf Erden ist nicht ganz unschuldig daran, daß sich die Oper - nach einer von der Adelsfamilie der Barberini ab den 1630er Jahren vorangetriebenen Blüte - auf geraume Zeit in Rom nicht recht etablieren konnte: Theaterluft war im wahrsten Sinn des Wortes anrüchig, und singende Frauenzimmer gleich zweimal dazu. So ganz konnte sich aber selbst die Heilige Stadt die Lust an koloraturgespickten Arien und herzergreifenden Lamenti nicht verkneifen. Als Oratorium ließ man die Oper in der Form eines geistlichen Singspiels dann durch die Hintertür hinein und trug dafür Sorge, daß auch bei den hohen Tönen nur Kastraten den Mund aufmachten. So hagelte es etwa eine päpstliche Rüge, als bei einer Aufführung von Händels "Oratorio per la Resurrezione di Nostro Signor Gesù Cristo" die Primadonna Margherita Durastanti engagiert war.

Mit diesem Problem muß sich Cecilia Bartoli nicht herumschlagen, wenn sie aus dem Werk des ab 1706 auf großer Italienreise sich befindenden Komponisten die Arie "Ferma l'ali" der Maria Magdalena zu Gehör bringt, eine introvertierte Meditation vor dem Grab Christi, orchestral auf ein melancholisch verwobenes Flötenensemble gebettet. Gerade die "stilleren" Stücke gehören zu den besonders reizvollen Passagen dieser CD - so die "Arie der Freude" aus Händels "Il Trionfo del Tempo e del Disinganno", deren musikalisches Material Händel aus seiner frühen Oper "Almira" übernahm, bevor es als "Lascia ch'io pianga" in der Oper "Rinaldo" endgültig die Herzen der Hörer erobert hat.

Zu diesen Momenten der musikalischen Einkehr gehört auch die "Arie der Hoffnung" aus Alessandro Scarlattis "Oratorium über die heilige Jungfrau vom Rosenkranz", in welcher der Komponist gleichsam mit Musik malend einen klassischen locus amoenus beschwört, ein Idyll aus Wiese, Bach und linden Lüften. Abgesehen davon, daß Les Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski diese Partitur wunderbar in Klang verwandeln, demonstriert auch "La Bartoli" erneut, daß sie mehr kann, als nur souverän ebenso prachtvolle wie höchst heikle Koloraturketten und delikate Auszierungen zu meistern, wofür sich auf "Opera proibita" gleichfalls meisterhafte Beispiele finden, etwa wenn die CD mit einem Stück aus einer Weihnachtskantate von Scarlatti quasi mit Pauken und Trompeten eröffnet wird.

Das Album wirft noch einen lohnenden Blick auf einen dritten Komponisten: Antonio Caldara - allein die Arie "Si piangete pupille dolenti" aus einem Oratorium zur Ehre der heiligen Francesca Romana ist mit ihrem schmerzhaft-süßen dramatischen Gestus die Anschaffung der ganzen Scheibe wert. Unter allen Solo-Einspielungen, die Cecilia Bartoli bislang vorgestellt hat, ist "Opera proibita" die stilistisch vielfältigste und schönste Platte. Sie schickt den Hörer auf eine spannende Entdeckungsreise durch das barocke Rom, das im Reich der Musik vielleicht auch deswegen geistlich so anregend war, weil es von der Welt und deren Pracht eben doch nicht recht lassen mochte.


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