© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Bunte Plaketten für Dieselautos
Gesundheitsrisiko Feinstaub: Experten sind uneins, wie der steigenden Belastung begegnet werden kann
Michael Howanietz

Die EU-Kommission hat eine umfangreiche Initiative zur Verbesse-rung der Luftqualität in Europa angekündigt. Zugleich will Brüssel den Städten und Gemeinden aber mit einer Lockerung der bestehenden Feinstaub-Richtlinie entgegenkommen, nach der Fahrverbote in Innenstädten bei Überschreitung eines Grenzwertes zwingend sind. Ziel sei, die Zahl der durch Feinstaub und Ozon verursachten Todesfälle in der EU bis zum Jahr 2020 auf 220.000 zu reduzieren, erläuterte EU-Umweltkommissar Stavros Dimas vergangenen Monat in Brüssel. Nach Berechnungen der EU-Kommission sterben derzeit pro Jahr in der EU 370.000 Menschen an den Folgen der Luftverschmutzung.

Entzündungen, Asthma oder Krebs durch Feinstaub

Unter "Feinstaub" (von Fachleuten kurz "PM10" genannt) versteht man winzige Partikel mit einem Durchmesser von weniger als zehn Mikrometern, die in großer Menge unsere Luft verunreinigen. Sie stammen von Baustellen, Heizungs- und Industrieanlagen, vor allem aber aus den Auspuffrohren von Kraftfahrzeugen. Dabei sind die von Dieselmotoren ausgestoßenen feinen Rußpartikel besonders gefährlich. Sie gelangen ungehindert in die Lunge und können dort Entzündungen, Asthma oder Krebs auslösen.

Gemäß EU-Bestimmungen müssen Städte und Gemeinden die Belastung mit Feinstaub begrenzen. Der festgelegte Höchstwert darf an höchstens 35 Tagen im Jahr überschritten werden. Die Maßnahmen sollen die Zahl der Todesfälle, die auf verschmutzte Luft zurückzuführen sind, deutlich verringern. Im Jahre 2000 starben in der EU knapp 400.000 Menschen an durch Feinstaub und bodennahes Ozon verursachten Krankheiten.

Für die Industrie bedeuten die erforderlichen Adaptionen Mehrkosten von sieben Milliarden Euro jährlich. Demgegenüber würden die Gesundheitssysteme um über vierzig Milliarden Euro jährlich entlastet.

Hauptverursacher der krankmachenden Luftbelastungen ist, wie erwähnt, der Straßenverkehr. Städte und Kommunen sehen eine mögliche Problemlösung deshalb in der Ausweisung von "Umweltzonen", die eine Begrenzung des einfahrenden Verkehrs mit sich brächten. Der Deutsche Städtetag will zunächst die Erfahrungen diesbezüglicher Pilotprojekte auswerten, erhebt aber bereits jetzt die Forderung nach der verbindlichen Einführung von Dieselrußfiltern. Die Vorgabe von Grenzwerten für den Lärm- und Schadstoffausstoß von Pkw und Lkw sei unverzichtbares Element einer "stadtverträglichen Verkehrspolitik".

Ein Argument, das plausibel klingt, aber keinesfalls auf ungeteilte Zustimmung stößt. So will der Verband der Internationalen Kraftfahrzeughersteller - aus nicht ganz uneigennützigen Gründen - dafür sorgen, daß überalterte Fahrzeuge überhaupt aus dem Straßen-Verkehr gezogen werden. Gleichzeitig sollte der Kauf von Neufahrzeugen, auf der Basis europaweit gültiger Vorschriften, gefördert werden. Der Handelsverband BAG begrüßt generell technische Maßnahmen an den Fahrzeugen zur Schadstoffminderung, da die autofreie Innenstadt kein Zukunftsmodell der Verkehrspolitik sein dürfe.

Die österreichische Prüf- und Überwachungsstelle CEF-Austria wiederum sieht in den hoch im politischen Dis-Kurs stehenden Partikelfiltern für Dieselfahrzeuge weniger ein Allheilmittel als vielmehr eine zusätzliche Gesundheitsgefährdung. Der Partikelfilter scheide nur Rußpartikel einer bestimmten Teilchengröße ab, während die bei Verbrennungsprozessen entstehenden Feinstpartikel weiterhin ungehindert in die Atmosphäre emittierten.

Diesel-Partikelfilter erhöhen Gefahr durch Feinstpartikel

Der Gesetzgeber sei derzeit nur befugt, die Beschränkung der Teilchen-Gesamtmasse in einem bestimmten Gas- oder Luftvolumen zu reglementieren. Diese Grenzwert-Definition mißachte folgenden Umstand: In einem bestimmten Luftvolumen seien nur relativ wenige große, massebehaftete Teilchen enthalten, jedoch ungleich viele kleine Rußteilchen oder Aerosole, von welchen die nachhaltigste Gesundheitsgefährdung ausgehe.

Vor allem bei der Verbrennung in Dieselmotoren werden mit dem Abgas viele Feinstpartikel emittiert. Dies werde von einer gesetzlich verankerten Beschränkung auf fünfzig Milligramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft nicht berücksichtigt, da die Gesamtmenge nichts über die Teilchenzahl der besonders gefährlichen lungengängigen Aerosole aussage. Überdies führe der Abbrand der im Filtermedium gelagerten Teilchen nach dessen Zuwachsen zur zusätzlichen Bildung kanzerogener Stoffe. Der Partikelfilter erhöhe deshalb die schädliche Wirkung der Feinstpartikel, resümiert Gerhard Fleischhacker von CEF-Austria.

Die gegensätzlichen Standpunkte in der komplexen Materie der von Verbrennungsmotoren ausgeschiedenen Kleinstteilchen sind freilich kein Garant für rasche und zukunftsweisende Maßnahmen zur Luftreinhaltung. Es wird noch einer Vielzahl von Projektstudien bedürfen, um eine tragfähige, gemeinsame Basis für zielführende Regelungen zu finden.

Eine besonders für Umweltverbände unbefriedigende Situation. Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) schlägt deshalb vor, Dieselfahrzeuge je nach Schadstoffausstoß mit einer farblich abgestimmten Plakette zu kennzeichnen. Orange, Gelb und Grün sollten Euro-3-, Euro-4- und Euro-5-Dieselautos markieren, Blau jene Benziner, die bessere Abgaswerte aufweisen, als sie Euro-2-Standards vorschreiben.

Ein Vorschlag von vielen. Doch auch die bunte Palette der Abgas-Plaketten kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß mit der Feinstaub-Debatte ein dringend notwendiger Diskussionsprozeß in Gang gesetzt wurde, auf den die Diskutanten dank langjähriger Problemverweigerung ungenügend vorbereitet sind.

Das Fazit ist demnach kein erfreuliches: Solange Ursachen und Zusammenhänge nicht restlos aufgeklärt und effiziente Maßnahmenkataloge erarbeitet und umgesetzt sind, werden die Folgen der Feinstaubbelastung weiterhin ihre Opfer fordern. Alleine in Deutschland soll deren Zahl im Jahr 2004 etwa 65.000 betragen haben.


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