© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Telefonterror à la Rice
EU-Erweiterung: Massiver Druck aus Washington für Beitrittsgespräche mit der Türkei / Ein weiteres "trojanisches Pferd"
Alexander Griesbach

Das Bild hatte Symbolkraft: Großbritanniens Außenminister Jack Straw, der seine überschwengliche Freude über den Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei nur schwer verbergen konnte, legte seinem "sehr guten Freund", dem türkischen Außenminister Abdullah Gül, den Arm auf dessen Schulter und grinste zufrieden, wenn auch erschöpft, in die Kameras. Der Labour-Politiker Straw und der angeblich "gemäßigte" Islamist Gül hatten allen Grund zur Freude, hatte doch die Achse London-Ankara-Washington ganze Arbeit geleistet.

US-Idee einer Allianz zwischen den Zivilisationen

Das wird auch in der Türkei so gesehen, wo Außenamtssprecher Namik Tan erklärte, daß man "sehr zufrieden mit der Unterstützung der USA" sei. Ein türkischer Diplomat, der nicht genannt werden wollte, erklärte leutselig, daß die Amerikaner nicht darauf aus seien, der EU "den Arm zu verdrehen", sondern ihr "zu helfen, die globalen Auswirkungen ihrer Entscheidung zu verstehen". Die USA verfolgten eine "strategische Vision". "Falls die Gespräche in Brüssel gescheitert wären, hätte die Idee einer Allianz zwischen den Zivilisationen Schaden genommen, was zu einer großen Frustration im Osten geführt hätte". Allerdings seien die USA in Brüssel nicht als "Verhandlungsführer" aufgetreten, versuchte der besagte türkische Diplomat gegenüber der Nachrichtenagentur AFP zu relativieren; sie hätten vielmehr eine "Chance" gesehen, eine "unterstützende Rolle" zu spielen.

Wie weit diese "unterstützende Rolle" ging, darüber darf gemutmaßt werden. Mehr und mehr sickert durch, daß US-Außenministerin Condoleeza Rice hinter den Kulissen alle Register gezogen hat, um den Beginn der EU-Aufnahmeverhandlungen mit der Türkei zu erzwingen. Sie soll es auch gewesen sein (so will es der britische Daily Telegraph wissen), die Recep Tayyip Erdogan gedrängt hat, nicht aufzugeben. Der Ministerpräsident der Türkei setzte sich schließlich mit seiner Maximalforderung durch, daß das Verhandlungsmandat, nämlich EU-Vollmitgliedschaft der Türkei, nicht verändert wird.

Vollmundig, weil sich der Unterstützung durch die USA sicher, konnte der inzwischen angeblich "geläuterte" Islamist Erdogan verkünden: Die Europäische Union habe die Türkei "mindestens ebenso nötig" wie die Türkei die EU. Im gleichen Maße dürfte Rice der österreichischen Regierung, insbesondere aber Außenministerin Ursula Plassnik (ÖVP) unmißverständlich klargemacht haben, daß Wien den Weg freizumachen habe.

So berichtete wiederum AFP, daß Rice, als sich die Verhandlungen in einer Sackgasse zu befinden schienen, mit österreichischen Regierungsmitgliedern telefoniert und diesen bedeutet habe, ihre Einwände gegen den Beginn der Beitrittsverhandlungen aufzugeben - was dann auch geschah. Österreich, von den anderen 24 EU-Mitgliedstaaten allein gelassen, hat sein Verhandlungsziel, nämlich das Verhandlungsmandat mit der Option einer "privilegierten Partnerschaft" abzuändern, falls es nicht zu einer EU-Vollmitgliedschaft der Türkei kommen sollte, fallenlassen müssen. Immerhin konnte seitens Österreichs erreicht werden, daß jetzt auch EU-Beitrittsgespräche mit Kroatien aufgenommen werden.

Angelsächsischer Türkei-Lobbyismus

Bei ihrem Agieren hinter den Kulissen zeigte sich Außenpolitikprofi Rice wesentlich begabter als ihr Chef US-Präsident George W. Bush, dessen offenes Eintreten für die Osterweiterung der EU auf dem Kopenhagener Gipfel im Jahre 2002 zu Mißstimmung geführt hatte. Eine Reihe EU-Staatschefs nahm seinerzeit Anstoß daran, daß hier allzu offen der Eindruck entstanden ist, Brüssel sei Befehlsempfänger Washingtons. Diesmal versuchten die USA, ihren unverhohlenen Türkei-Lobbyismus etwas diskreter zu gestalten.

Unterstützt wurden sie hier wie immer von ihrem ergebenen Vasallen Großbritannien, was durchaus registriert wurde, bemerkte doch ein "Vertreter eines bedeutenden EU-Mitgliedsstaates", so die Financial Times, "daß die Briten die Türken und die Amerikaner konsultierten, bevor sie mit uns sprachen". Die inoffiziell gehegten Befürchtungen, sich mit der Türkei neben den ungeklärten finanziellen Lasten ein (nach Polen) weiteres angloamerikanisches "trojanisches Pferd" eingehandelt zu haben, sind durch dieses Agieren sicherlich nicht geringer geworden.

Dieses "trojanische Pferd" könnte sich allerdings ganz schnell in eine fette Kröte verwandeln, an der sich die EU verschluckt, verfolgt doch der aufdringliche angelsächsische Türkei-Lobbyismus vor allem das Ziel, der EU die Rolle des Türkei-Sanierers aufzudrängen, damit der Staat am Bosporus die ihm zugedachten strategischen Aufgaben erfüllen kann. Diese erwachsen vor allem aus der von den USA erwarteten Rolle der Türkei als einer Art physischen Verbindungsstücks zwischen Europa und dem Mittleren Osten. Ob und inwieweit die Türkei in diese Rolle hineinwachsen kann, hängt aus Sicht der USA zwingend davon ab, ob die Türkei Mitglied der EU wird oder nicht. Nur dann werde die Türkei, so will es deren Beitrittspropaganda, ein säkularer und prowestlicher Staat bleiben. Mindestens von ebenso großer Bedeutung sind aus Sicht der US-Regierung die Beziehungen der Türkei nach Zentralasien, die für sie von größtem strategischem Interesse sind.

Die fällige Rechnung in Form von gewaltigen Finanztransfers und steigendem Migrationsdruck wird über kurz oder lang der EU aufgemacht werden.


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