© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Heimatloses "Schreckgespenst"
Konservatismus II: Die Tageszeitung "Die Welt" auf der Suche nach den letzten Konservativen
Thorsten Thaler

Soviel Erkenntnis war selten: Mit Bekanntwerden des Ergebnisses der Bundestagswahl am 18. September ist der politische Konservatismus in Deutschland "verstummt". Sichtbar sei dies an einer Parteienlandschaft, die dem habituell Linken alles biete, "vom Barolo nippenden Urban-Hedonisten über den polternden Gewerkschaftsfunktionär und Windmühlenfonds zeichnenden Besserverdienenden bis hin zum DDR-seligen Wärmestubenanheizer". Jede Spielart linker Gesellschaftspolitik habe ihr Zuhause und im neuen Bundestag ihre parlamentarische Vertretung. Nur die Konservativen hierzulande seien heimatlos.

So klarsichtig stand es zwei Tage nach der Bundestagswahl in einem Leitartikel von Guido Heinen in der Tageszeitung Die Welt zu lesen. Der politische Korrespondent schloß seine kluge Betrachtung mit der Bemerkung: "Die Union scheint ihre Wurzeln gekappt zu haben. Bei der bejubelten Anbiederung an 'urbane Milieus' hat sie ihr Hinterland verloren." Seither stehe die Frage im Raum, wo sich die Konservativen der Union eine neue Heimat suchen werden.

Noch gibt es sie auch in der Union

Immerhin: Heinen insinuiert, daß es noch Konservative gibt. Und tatsächlich, trotz des unrühmlichen Rauswurfs von Martin Hohmann aus der CDU finden sich in den Unionsparteien immer noch Abgeordnete (und vermutlich sehr viel mehr "einfache" Mitglieder), die als konservativ gelten dürfen, die meisten davon sicher in der CSU (JF 41/05). Ganz zu schweigen von jenen nicht parteipolitisch gebundenen Konservativen, die sich um Zeitungen und Zeitschriften, Verlage und Bildungseinrichtungen wie das in Sachsen-Anhalt angesiedelte Institut für Staatspolitik (IfS) gruppieren. Zu ihnen gehört nicht zuletzt auch der Göttinger Historiker Karlheinz Weißmann (siehe dessen Beitrag auf dieser Seite).

Insofern hat dessen Fachkollege Michael Stürmer nur teilweise recht, wenn er in der Welt, für die er als Chefkorrespondent tätig ist, in Abrede stellt, daß es überhaupt noch traditionelle Konservative gibt. Offenkundig in Erwiderung auf Guido Heinen schreibt er, in Deutschland gebe es weder ein bürgerliches Lager, noch seien "die Konservativen" mehr als ein "Schreckgespenst", mit dem sich Linke Identität und Kampfeszorn verschaffen. Heute, hält Stürmer fest, litten die Deutschen, wo immer sie bei Wahlen ihr Kreuz machen, nicht einmal unter Phantomschmerz ob des verlorenen Konservatismus. Dabei gebe es allemal Grund für eine Besinnung auf die Wertgrundlagen des Gemeinwesens. Die Welt befinde sich im Umbruch wie nie zuvor, Werte würden weggespült. "Wenn je die Stunde des Konservatismus war, dann hier und jetzt", schreibt der Historiker. "Aber wo sind die Konservativen?" fragt er rhetorisch - und interessiert sich für die Antwort doch nicht die Bohne.


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