© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Die Woche
Angela Merkel am Ziel
von Fritz Schenk

Sie hat's geschafft. Als erster Kanzlerin einer deutschen Bundesregierung ist der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel schon jetzt ein Platz in den Geschichtsbüchern sicher.

Das Amt ist ihr nicht zugefallen, sie hat es sich zielstrebig und mit Energie erobert. Zu viele haben sie unterschätzt und tun das wahrscheinlich noch immer. In der Frau stecken mehr politische Talente, Courage, Durchsetzungsvermögen und auch eine gehörige Portion Skrupellosigkeit, als ihr zugetraut wurden. Das hatte sie gegenüber Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, zwei Generalsekretären und Martin Hohmann längst bewiesen. Aber allein daß sie ihren Vorgänger, den durch medienwirksamen Dauerrummel total überbewerteten Versager Gerhard Schröder - wahrscheinlich endgültig - von der politischen Bühne verdrängt hat, kann gar nicht hoch genug bewertet werden.

Doch erst jetzt muß sie sich wirklich beweisen. Offensichtlich hat sie erkannt, welchen Berg an Problemen es abzutragen gilt. Sie ließ das bei der Bekanntgabe des ersten Teils der "Sondierungsgespräche" unter den "vier Großen" anklingen, dessen wichtigstes Ergebnis der Rückzug Schröders, die Anerkennung ihrer Kanzlerschaft, die Priorität der Union für das Amt des Bundestagspräsidenten und die Einigung auf die Ressortaufteilung der neuen Bundesregierung war. Dabei hat sie für ihre Partei wichtige Felder preisgeben und sich auf eine Parität einigen müssen, die den Sozialdemokraten sogar ein gewisses Übergewicht an Ämtern und Posten zugesteht. Nur so kann sie vorbeugen, daß ihr bei der Kanzlerwahl nicht allzu viele Stimmen fehlen werden. Denn auch wenn in den Fraktionssitzungen vor der Kanzlerwahl, in (wahrscheinlichen) Probeabstimmungen und offenen Aussprachen viele Zustimmung heucheln werden, sind in den abgeschlossenen Wahlkabinen Überraschungen nicht auszuschließen. Schleswig-Holstein hatte Heide Simonis im Frühjahr bei der gescheiterten Wahl zur Ministerpräsidentin ihr Waterloo beschert und ein anschauliches Beispiel dafür geliefert, was in geheimen Wahlen alles passieren kann.

Aus der eigenen Fraktion dürfte Merkel da weniger Ungemach drohen. Mit dem Zwang zur Großen Koalition wird die Sozialdemokratisierung der Union fortgeführt. Sie hatte im übrigen schon unter Kohl begonnen. Dessen groß angekündigte "geistig-moralische Wende" hatte ja auch er schnell zu den Akten gelegt. Mit Seehofer und Genossinnen wie Schmidt und Wieczorek-Zeul wird sichergestellt, daß von den Pfründen der Funktionäre des allmächtigen Verwaltungsstaates nicht zuviel weggeschnitten wird. Erst wenn auch der neue Bundeshaushalt wieder deutlich über die Maastricht-Kriterien brummt und aus Brüssel diesmal tatsächlich finanzielle Sanktionen drohen, wird es zum Schwur und damit zur ersten ernsthaften Bewährungsprobe für Merkel und die Haltbarkeit der Koalition kommen.

Eines scheint sicher: Die aus der rot-grünen Koalition im Kabinett bleiben, werden es schwerer haben. Angela Merkel ist eine zähe, faktensichere Schwerarbeiterin, die nicht leicht zu täuschen ist. Wer mit ihr zu tun bekommt, muß immer konkret werden und gute Argumente haben. Und sie hat Ausdauer. Das Staatsdebakel zwingt beide Parteien zum Erfolg. Leicht wird sie dieses Bündnis nicht platzen lassen. Und wenn es nicht vier Jahre durchhält, wird sie klarzustellen wissen, bei wem die Schuld liegt.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen