© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Der Tod in Prag
Vom Nachbarn zum Vogelfreien
Josef Gemeinder, Coburg

Zum Kriegsende war ich Assistent an einem Institut der Technischen Hochschule Prag, wo in untergeordneter Funktion auch Tschechen beschäftigt waren. Das Verhältnis mit ihnen war menschlich und kollegial. Sie hatten einen normalen Anstellungsvertrag. Am 5. Mai 1945 kam es im Zentrum am Rundfunkgebäude einige hundert Meter vom Wenzelsplatz entfernt zum Aufstand. Ich wohnte zwei Häuser davon entfernt. Der Rundfunk wurde besetzt und hetzte pausenlos gegen die Deutschen in Prag. Immer wiederholte sich die Parole "Smrt Nemcum" - Tod den Deutschen.

Der Gefahr bewußt versteckte ich mich in den ersten Stunden im Keller, wo mich schließlich Hausbewohner aufspürten. Sie übergaben mich Polizeikräften, die mich mit Bajonett im Rücken in einen Sammelraum abführten. Inzwischen hatte deutsches Militär Maßnahmen gegen die Aufständischen ergriffen. Offensichtlich kam es zu Verhandlungen, da ein Tscheche den Anwesenden erklärte, mit dem "Reichsprotektor" sei vereinbart worden, die Deutschen aus Prag ausziehen zu lassen. Man konnte den Raum verlassen, und ich eilte über die westliche Parallelstraße zum Wenzelsplatz Richtung Hradschin, wo ich in einem Lazarett der Wehrmacht Zuflucht fand.

Die Wahl des Weges sollte sich als eine glückliche Fügung darstellen, da zur gleichen Zeit auf dem Wenzelsplatz bereits Deutsche vom entfesselten Mob an Laternenpfählen aufgehängt wurden und Hunderte andere tagelang in brütender Hitze in einem Stadion ausharren mußten. Dort hatten sie weder irgendeine Versorgung mit Lebensmitteln und ausreichend Wasser noch eine medizinische Versorgung. Wegen körperlicher Schwächung und Auszehrung starben viele von den dort Eingesperrten bereits im Verlauf weniger Tage.

Am 8. Mai 1945 konnte ich schließlich mit vielen anderen Prag in Richtung Westen zu Fuß verlassen. Der Kontrast konnte nicht größer sein. Bis zum 4. Mai 1945 lebten Deutsche und die tschechische Zivilbevölkerung friedlich nebeneinander. Am 5. Mai 1945 wurden die deutschen Nachbarn plötzlich zu vogelfreien Verbrechern stilisiert, die man töten, ihres Hab und Gutes berauben und vertreiben konnte.

"Eingepfercht im Viehwaggon 1945", Tusche: "Überhaupt waren wir nicht so gerne gesehen"

 

In Gedenken zum 60 Todestag

Katharina Kürschner, 83 Jahre, verstorben 29.04.1945

Margarethe Glas, 84 Jahre, verhungert 16.05.1945

Julianna Glas, 65 Jahre, verhungert 23.05.1945

Erna Glas, 2 Jahre, verhungert 27.06.1945

Katharina Lang, 60 Jahre, verhungert 03.08.1945

Fritz Glas, 66 Jahre, verhungert 07.10.1945

Magdalena Glas, 46 Jahre, verhungert 19.10.1945 im Konzentrationslager Jarek, Jugoslawien.

In tiefer Trauer Fritz Glas


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