© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 42/05 14. Oktober 2005

Der Mut zu Großem fehlt
Die solide Mehrheit einer Großen Koalition allein reicht nicht aus
Klaus Peter Krause

Gestellt zumindest sind sie: die Weichen für eine Große Koalition. Doch wollen sich da zwei zusammentun, deren Wahlprogramme und politische Vorstellungen bei weitem nicht das enthalten, was Deutschland an grundlegenden Reformen tatsächlich braucht. Der Abschluß der Sondierungsgespräche und was davon bekanntgegeben wurde, bestätigt das unübersehbar.

Solche Reformen anzupacken, ist eine Herkules-Aufgabe, das bedeutet Berge versetzen, viele Jahre Anpassungszeit. Dafür brauchen das Land, seine Politiker und Bürger einen langen Atem, und das bedarf einer starken Mehrheit in den parlamentarischen Gremien. Eine Große Koalition von CDU/CSU und SPD verfügt darüber. Es käme aber einem Wunder gleich, würde sie sich dazu entschließen, diese Mehrheit und Chance für wirkliche Reformen tatsächlich zu nutzen. Das Wunder hätte dann schon in den Sondierungsgesprächen geschehen müssen.

Beiden nämlich steht ihr Sinn nicht danach. Beide sind sich ähnlicher, als es wahrgenommen wird. Sie sind es in ihren politischen Vorstellungen von einem Staat, der stark in zu viele Lebensbereiche hineinwirkt, und von einem Staatsvolk, das zu umsorgen sei, weil es in der Tat selbstverantwortungsscheu ist und daher weder sonderlich freiheitsbesessen noch mündig genug. Beide allerdings haben sich auch nicht gerade darin ausgezeichnet, den besorgten, zweifelnden Bürgern die Selbstverantwortung nahezubringen und zu bescheren, denn das hieße, politische Spielwiesen aufgeben, Einflußnahme verringern und ihre politische Macht schmälern; es verstieße gegen ihre egoistischen Interessen als politische Klasse.

Der Mut zu Großem fehlt bei der Union ohnehin. Zwar hat Angela Merkel ihn wenigstens mit der Präsentation Paul Kirchhofs vor der Wahl auf einem wichtigen Teilgebiet versucht, aber dieser Versuch ist schon aufgrund tatsachenwidriger Verteufelung von dessen Steuerkonzept seitens der SPD von den Wählern derart abgestraft worden, daß der Union der Mut zu noch Größerem erst recht abhanden gekommen ist, wenn er denn überhaupt vorhanden war. Die wesentliche Botschaft, die beide Seiten präsentiert haben, ist, welche Partei welches Ministerium besetzt. Dabei hat die SPD der Union die wirklichen Schlüsselressorts abgehandelt.

Vielleicht aber hat die Union diese Ressorts der SPD schlaumeierisch nur deswegen überlassen, weil dort die "Drecksarbeit" zu tun ist und dann der Wähler seinen Ärger über die Ergebnisse vier Jahre später bei der SPD abladen soll. Es sind ausgerechnet jene Ministerien, in denen die meisten großen Reformen ablaufen müßten: Finanzen, Arbeit und Soziales, Gesundheit. Damit bleibt alles beim Klein-Klein und bloßen Drehen an Schräubchen der maroden bestehenden Systeme. Bezeichnend dafür ist, was Merkel bei ihrem Auftritt nach dem Sondierungsabschluß als "anvisiert" erwähnte: weiterhin keine Steuer auf Feiertags- und Nachtarbeitszuschläge, für Familien einen gleichen Grundfreibetrag für Eltern und Kinder und ein Elterngeld sowie am Arbeitsmarkt betriebliche Bündnisse als Abweichungen von Tarifverträgen nur zusammen mit den Gewerkschaften.

Was zusammengehört, soll nun wieder getrennt werden: Es wird (für die CSU) ein Wirtschaftsministerium ohne "Arbeit und Soziales" geben, und ein Ministerium für Arbeit und Soziales geht an die SPD. Beides verheißt nichts Gutes. Edmund Stoiber als Wirtschaftsminister ist auch in dieser Position kein ordnungspolitischer Reformer, sondern ebenfalls nur Schräubchendreher und Elendsverwalter, anfällig für interventionistische Industriepolitik. Und die Zuständigkeit der SPD bürgt dafür, daß die nötigen Freiheiten auf dem Arbeitsmarkt nicht entstehen und die gesetzliche Altersrente nicht auf eine nachhaltig solide Finanzgrundlage gestellt wird.

Damit und mit dem, was die SPD im Gesundheitsministerium weiterhin anrichten dürfte, wird sie sich ihrer Profilierung wegen als "Partei der sozialen Gerechtigkeit" darstellen und brüsten, die sie in Wahrheit nicht ist - genausowenig wie die Union. Münteferings Äußerung "Wir werden alles tun für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen" ist ein hohler Spruch, weil die "deutsche Krankheit" als ganzes nicht angepackt wird.

Ungewiß ist, ob es gelingt, im Föderalsystem die Fesseln von Bund, Ländern und Gemeinden bei den Einnahmen und Ausgaben ihrer Haushalte zu lösen und den Finanzausgleich neu zu ordnen. Ein Erfolg würde das Schuldenmachen nicht mehr zusätzlich vorantreiben und Reformen nicht zusätzlich erschweren. Viele Eigeninteressen stehen ihm aber im Weg, und die Erfahrungen bei den bisherigen Versuchen (auch die der ersten Großen Koalition 1966/69) erlauben wenig Zuversicht. Doch gibt es für die Neuordnung der Finanzverfassung immerhin schon einen Ausgangspunkt: das zwischen Müntefering und Stoiber erzielte Ergebnis in der Föderalismus-Kommission im Dezember 2004.

Nicht ohne Grund eilt einer Großen Koalition der schlechte Ruf voraus, nur eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners zustande zu bringen. Ebendies ist am ehesten zu erwarten: eine solide Mehrheit, aber keine solide Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik für eine wirtschaftliche Gesundung Deutschlands.


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