© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 41/05 07. Oktober 2005

BRIEF AUS BRÜSSEL
Kroatien, nicht Türkei
Andreas Mölzer

Im stillen Kämmerlein hinter verschlossenen Türen wurde von den EU-Machthabern die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Türkei beschlossen. Die Bürger, die die Türkei nicht im eigenen Haus haben wollen, blieben ausgesperrt.

Ein besonderes Glanzlicht setzte dabei der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP), der den Beginn der Beitrittsgespräche der Türkei mit denen Kroatiens junktimieren wollte. Diese Vorgehensweise ist nichts anderes als eine Beleidigung für das beitrittswillige Kroatien, wie sie in der EU-Geschichte ihresgleichen sucht.

Denn das seit vielen Jahrhunderten zutiefst in der mitteleuropäischen Kultur verankerte Kroatien sollte mit der Türkei, wo am Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch die Tradition von Ehrenmorden und andere mittelalterliche islamischen Praktiken wie Zwangsehen vorherrschen, auf eine Stufe gestellt werden.

Während Kroatien heute schon alle EU-Beitrittskriterien erfüllt, reagiert die Türkei auf die ohnehin verhaltenen Ermahnungen aus Brüssel mit ständigen Provokationen. Ankara glaubt offenbar allen Ernstes, man könne die EU, wenn diese von der Türkei die Einhaltung elementarer Menschenrechte fordert, mit Liebesentzug bestrafen.

Warnungen vor einem Türkei-Beitritt kommen sogar aus den USA. Ein Kolumnist der einflußreichen Washington Post schreibt, Premier Recep Tayyip Erdogan verwandle sein Land systematisch von einer weltlichen, moslemischen Demokratie in einen "islamofaschistischen" Staat, der von einer Ideologie regiert wird, die für die europäischen Werte und Freiheiten ein Greuel ist. Zudem werde das Land von riesigen Mengen "grünen Geldes" überflutet, das von verschiedenen radikal-islamistischen saudischen Stiftungen bereitgestellt werde.

Im EU-Parlament kam es während der Türkei-Debatte zu einem demokratiepolitischen Skandal. Der grüne Abgeordnete Daniel Cohn-Bendit schwang sich wieder einmal zum politisch korrekten Tugendwächter auf und beschimpfte jene 70 Prozent der Europäer, die gegen den Türkei-Beitritt sind, als "Rassisten". Auf die Meinung Andersdenkender wird gar nicht eingegangen. Vielmehr werden - weil es der billigere Weg ist - andere Auffassungen mit der Faschismus- und Rassismuskeule niedergeknüppelt.

Mit seiner mehrheitlichen Zustimmung zur Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Ankara ist das EU-Parlament vor der Türkenlobby in die Knie gegangen, obwohl eine breite Anzahl von Abgeordneten die allgemeine Einschätzung teilt, daß die Türkei alles andere als europareif ist. Daran ändern auch die Forderungen nichts, die Türkei müsse das EU-Mitglied Zypern oder den Völkermord an etwa 1,5 Millionen christlichen Armeniern anerkennen. Aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit sind derartige Forderungen eher als ein Mittel zur Beruhigung des eigenen schlechten Gewissens denn als Druckmittel zu betrachten.

Das EU-Parlament hat die Riesenchance vertan, ein klares Zeichen für die Zukunft der EU zu setzen. Ein Nein zur Türkei wäre eine Chance gewesen, sich von EU-Rat und -Kommission zu emanzipieren. Die Zustimmung des Parlaments zu den Beitrittsverhandlungen ist damit letztendlich ein Zeichen der eigenen Schwäche und Mutlosigkeit.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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