© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 40/05 30. September 2005

Pankraz,
Hans Driesch und der Erfurter Dialog

Deutsche Politiker haben manchmal doch noch gute Ideen. Dazu gehört die Absicht des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU), demnächst im Rahmen der von seiner Partei geförderten Forumsreihe "Erfurter Dialog" einen Abend zum Thema "Kreationisten und Evolutionstheorie" zu arrangieren und dazu auch einen (einen!) Darwin-Skeptiker, den Münchener "Vitalisten" und Molekularbiologen Siegfried Scherer, einzuladen.

Die mediale Meute ruft nun Zetermordio, unkt von "Afterwissenschaft" und "Dunkelmännertum". "Scherer", so tönt es im Chor, "will uns unseren guten alten Darwin wegnehmen." Für Cornelia Pieper (FDP), die Vorsitzende des Forschungsausschusses im Deutschen Bundestag, ist der Plan von Althaus "nicht nachvollziehbar". Offene Diskussion zwischen Leuten mit unterscheidbarer Meinung kann man sich in den höheren Politik-Kreisen unseres Landes eben kaum noch vorstellen.

Dabei sind Debatten wie die von Althaus angepeilte hochwillkommen. Es geht ja nicht, wie die Pieper & Co. suggerieren, darum, die Aussagen der Bibel über Weltentstehung und Menscherschaffung nach Art US-amerikanischer Fundamentalisten für verbindlich zu erklären und obligatorisch in die Schulbücher einzuführen. Sondern es geht um die längst fällige Neu-Analyse und Neu-Einschätzung zweier konkurrierender Denkmodelle in Sachen Evolution und Kreation.

Ziemlich offen zutage liegt inzwischen: Das derzeit herrschende und bis zum Überdruß wiedergekäute Modell Charles Darwins, wonach Entstehung und Evolution des Lebens einzig Resultat "zufälliger" Veränderungen und anschließender "Selektion" dieser angeblich rein zufälligen Mutanten seien, hängt nach allen Seiten ins Leere. Kein Mensch weiß anzugeben, was denn eigentlich Zufall ist und ob es ihn überhaupt gibt. Und wer "Selektion" sagt, der muß sofort auch sagen, wer denn selektiert und mit welchem Ziel. Nicht die Selektion ist das Urprinzip, sondern das "Design", nach dem selektiert wird.

Charles Darwin postulierte als Design "survival of the fittest", das Überleben des Besten. Der Beste sollte sein, wer die meisten Kinder kriegt und so die anderen "verdrängen" und auslöschen kann. Bei einem solchen Design hätte es nie zu irgendeiner Evolution höherer Formen kommen können, denn die "Besten" in besagtem Sinne sind die Einzeller, die Amöben, Bakterien, Viren, die sich in kürzester Zeit unendlich vermehren und letztlich jede höhere Bildung zur Strecke bringen, zersetzen und auffressen.

Hans Driesch, Henri Bergson, Jakob von Uexküll, Ludwig von Bertalanffy und andere sogenannte "Lebensphilosophen" und "Vitalisten" des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts hatten diese Unfähigkeit des Darwinismus, Bildung und Gestaltwerdung höherer Organismen zu erklären, bereits genau durchschaut und zogen daraus ihre Schlußfolgerungen, ganz ohne Rückgriff auf Bibel und Schöpfungsmythen à la Moses oder Hesiod. Das Design-Denken, zu deutsch: Gestaltdenken, hat mindestens so hochgebildete, naturwissenschaftlich und philosophisch top-instruierte Ahnen gehabt wie Darwinisten und Neo-Darwinisten, speziell in Kontinentaleuropa.

Aus aktueller Sicht wirkt es deshalb geradezu obszön, mit welchen Totschlag-Methoden die Darwinisten seinerzeit die Vitalisten aus den Seminaren und Schulbüchern vertrieben. Als "Leitwissenschaft" wurde die Molekularphysik ausgerufen, und alles mögliche, vor allem und zuerst das Leben, wurde kurzerhand auf die angeblichen "Gesetze" molekularer Bewegungen reduziert. Das Einzelteil war wichtiger als das Ganze, unsichtbare Atome rangierten immer und prinzipiell vor sichtbaren Gestalten, und wer das nicht akzeptieren wollte, war ein haltloser Spinner oder gar ein Rindvieh.

Heute, da offenbar (bitte keine vorschnellen Verallgemeinerungen!) die Biologie zur "neuen Leitwissenschaft" aufsteigt, tauchen langsam auch die Konturen der von Driesch, Bergson, Buytendijk und anderen schon früh skizzierten Gestaltlogik wieder auf. "Ganzheit" erscheint dort als Grundkategorie alles Lebendigen, Lebensvorgänge sind immer Agieren und Reagieren eines Ganzen, das Funktion und Entwicklung der Teile bestimmt. Ein Luchs oder ein Ameisenvolk stellen sich zunächst als Ganzes, aufgrund ihres "psychoiden Potentials" (Buytendijk), auf eine neue Umgebung oder einen Klimawechsel ein, lange bevor die Proteine und Gene etwas davon mitgekriegt haben.

Jakob von Uexküll (1864-1944) hat dem amerikanischen Design-Denken wohl am intensivsten zugearbeitet. Sein System der "nichtmateriellen Naturfaktoren" bot eine je eigene, weit ausdifferenzierte Welt geistiger "Pläne" ("Baupläne", "Leistungspläne"), deren an der Bewegung des Ganzen ablesbare, auf "Planerfüllung" angelegte Ordnung der wichtigste Motor der Evolution des Lebendigen, auch der Artenentwicklung, war. Eine neue Art war in erster Linie Produkt einer geistigen Entelechie, erst in zweiter Linie wirkten Raum- und Zeitfaktoren auf sie ein.

Auch Uexküll legte freilich größten Wert auf die Unterscheidung zwischen (offenbartem) Glauben und (empirisch erworbenem) Wissen. Nur für letzteres fühlte er sich zuständig. Sein Begriff von Empirie schloß die intuitive, plötzlich einschlagende und dennoch allgemein vermittelbare und überprüfbare Erkenntnis ein, aber für unpräzisen, die Phänomene verwischenden Predigerton hatte er nichts übrig - wie alle seine vitalistischen Kollegen.

Wie sagte der Sprecher von Althaus? "Unser Erfurter Dialog hat nichts mit Bush und den US-Kreationisten zu tun, wir wollen nur einmal Vertreter verschiedener Theorien zur Evolution des Lebens an einem Tisch versammeln. So etwas muß doch noch erlaubt sein." Es ist nicht nur erlaubt, es ist bitter nötig.


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