© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/05 23. September 2005

Frisch gepresst

Martin Walser. Fast wie auf Bestellung hat der Schriftsteller Martin Walser seine Tagebücher aus der Zeit von 1951 bis 1962 publiziert (Leben und Schreiben. Tagebücher 1951-1962. Rowohlt Verlag, Reinbek 2005, 667 Seiten, gebunden, 24,90 Euro). Neben der ohnehin zu erwartenden Aufmerksamkeit dürften seine täglichen Sprengsel aus der Zeit, die der angeblichen Prägephase des "ewigen Flakhelfers" (Spiegel, 36/05) noch so nahe liegt, alle Spürhunde zur Recherche ermutigen, die wie der von ebendieser Wochenzeitschrift groß aufbereitete Nachwuchsliteraturwissen-schaftler Matthias Lorenz eine "antisemitische Färbung" in "Walsers Gesamtwerk" entdecken wollen. So erlaubt Walser, diese Entdeckungsreise sogar noch vor seinem ersten Buch zu starten, als er "noch nicht da" war, wie der Büchnerpreisträger schreibt, sondern als Radioreporter durch die Welt zog, der seine mehr oder minder spärlichen Gedanken vermehrt mit skurrilen Personen-skizzen bereicherte. Insofern hat sein erster Tagebuchband alle Chancen, eine der meistbeach-teten Quellen des Buchherbstes 2005 zu werden.

Europas Sozialpolitik. Wer seine Zeitschrift "Widerspruch" nennt, ist noch lange nicht davor gefeit, selbst von Widersprüchen zerrissen zu werden. Man kann nicht einerseits die "Festung Europa" kritisieren, eine höhere Beschäftigungsquote für Frauen fordern und sich gleichzeitig über Hungerlöhne in der Europäischen Union empören. Stundenlöhne ergeben sich nun einmal aus Angebot und Nachfrage. Je mehr Leute arbeiten wollen, um so stärker fallen die Preise - also auch die Löhne. Doch diese einfache Tatsache ignorieren viele Autoren des neuen Bandes der Zeitschrift Widerspruch, der um die Wirtschaft- und Sozialpolitik Europas kreist. Positiv zu vermerken: ein detaillierter Vergleich zwischen Grundgesetz und EU-Verfassung von Herbert Schui (Widerspruch. Beiträge zu sozialistischer Politik, Band 48. Europa sozial. Zürich 2005, 263 Seiten, broschiert, 16 Euro).

Europas Völker. Auf nationaler Ebene werden Politiker über die Vertreter einer multikulturellen Gesellschaft hinaus nicht müde, die "Vielfalt der Völker" anzumahnen. In der europäischen Union wird diese Vielfalt jedoch zu gerne dem Regulierungsdrang Brüsseler "Eurokraten" untergeordnet. Der österreichische EU-Abgeordnete Andreas Mölzer beschreibt in seiner Übersicht die Völker der EU-Mitgliedsstaaten, wobei er insbesondere die kleine Minderheiten vom "kulturellen Einheitsbrei" gefährdet sieht. Mölzers Beschreibung definiert zudem die Grenzen dieses Kontinents, indem er die Türkei weder als historischen noch als kulturellen Bestandteil Europas deutet. Damit widerspricht er auch jeder politischen Einbeziehung in die EU (Europa unser. Für ein Europa der freien Völker und der kulturellen Vielfalt. Eckardschrift 177 der Österreichischen Landsmannschaft, Wien 2005, 111 Seiten, broschiert, 7,40 Euro).


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