© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/05 23. September 2005

Lebensentwürfe
Kino: "Der wilde Schlag meines Herzens" von J. Audiard
Claus-M. Wolfschlag

Der 28jährige Pariser Tom (Romain Duris) ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten und im halbseidenen Immobiliengeschäft tätig. Schlägt sich der alt gewordene Vater (Niels Arestrup) mit zwielichtigen Investoren und dreisten Schuldnern herum, so hat es Tom zum Teilhaber in einer größeren Immobilienfirma geschafft. Doch auch hier sind die Sitten rauh, gleicht die Erwirtschaftung des großen Geldes stets einem Poker-Spiel mit ausgebufften Kontrahenten.

Neben seinem Beruf übernimmt der besorgte Tom kleinere Schlägerjobs für seinen Vater und treibt dessen Mietforderungen bisweilen mit Fäusten und Dachlatten ein. Doch Tom hat auch eine andere Natur. Da ist etwas, das in ihm schlummert und jenseits jener Welt aus Geld und Gewalt liegt, in der er sich bewegt, ohne glücklich zu sein. Es ist die Liebe zur Kunst, zur Musik. Um diese Liebe wieder an die Oberfläche zu bringen, bedurfte es nur eines Auslösers. Da begegnet ihm eines Tages der ehemalige Konzertagent seiner verstorbenen Mutter, der sich seines Talents erinnert und Tom ermutigt, ihn zu einem Klaviervorspiel zu besuchen.

Versessen auf einen neuen Lebensweg als Konzertpianist beginnt Tom Unterricht bei einer jungen asiatischen Musik-Virtuosin (Linh Dan Pham) zu nehmen. Seine Konzentration, die Hingabe an die Musik wird aber immer wieder unterbrochen durch den Einbruch des harten geschäftlichen Alltags.

Russenmafia oder Tastenzauber, diese unterschiedlichen Lebensentwürfe lassen sich immer weniger miteinander vereinen. Es gilt, eine Entscheidung zu treffen.

"Der wilde Schlag meines Herzens" ist eine französische Neuverfilmung des 1977 gedrehten amerikanischen Films "Finger - Zärtlich und brutal". Remakes müssen also nicht immer nur für den amerikanischen Markt produziert werden, es funktioniert auch in die andere Richtung. Die alte Milieukritik wurde hier allerdings zur sensiblen Charakterstudie umgeformt.

Veranschaulichte Harvey Keitel in James Tobacks "Fingers", daß sich das Individuum letztlich nicht gegen die übermächtigen Umwelteinflüsse durchzusetzen vermag, so liegt in Audiards Version das Augenmerk an ganz anderer Stelle. Der Film, eine spannende Mischung aus Krimi, Drama und Psychogramm, konzentriert sich auf die Darstellung des Selbstfindungs- und Emanzipationsprozesses seiner Hauptfigur, die eine Veränderung vom Schlägertyp zum gefühlvollen Musiker durchmacht.

Der junge Tom wird vollends erwachsen, indem er sich von seinem Vater und der alten Lebenswelt löst und seinen freien Willen entdeckt. Romain Duris verkörpert diese Figur überzeugend in ihrer ganzen Zerrissenheit: aggressiv, nervös und feinfühlig, innerlich aufgewühlt und konzentriert. Daß auch Musik eine Verbindung zwischen Menschen sein kann, wird Tom im Umgang mit seiner chinesischen Lehrerin bewußt. Beide sprechen nicht die Sprache des anderen, doch in der Welt der Töne verstehen sie einander auch ohne Worte.

Foto: Tom (Romain Duris): Aggressiv, nervös, feinfühlig, aufgewühlt


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