© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 39/05 23. September 2005

So ist keine wirkliche Wende möglich
Bundestagswahl: Allen jetzt möglichen Koalitionen fehlt die Kraft, wenigstens das Angekündigte oder Angedeutete durchzusetzen
Klaus Peter Krause

Wer immer jetzt mit wem koaliert: Das, was Deutschland an wirklichen, an grundle-genden Reformen braucht, wird es mit diesem Wahlergebnis nicht geben. Schon die einzelnen Parteien für sich allein sind zu einem solchen Wechsel in der Wirtschafts-, Sozial-, und Steuerpolitik, wie er dringend nötig ist, nicht willens. Doch nun ist zur fehlenden Bereitschaft noch die fehlende Kraft hinzugekommen, wenigstens das Angekündigte oder Angedeutete durchzusetzen. Jede Partei im neuen Bundestag, die regieren will, benötigt dazu mindestens einen Koalitionspartner - und muß dabei Abstriche machen. Besonders dringlich sind Lösungen für den Arbeitsmarkt, für die Alterssicherung, für die Versorgung mit Gesundheitsleistungen und für die Steuerpolitik, aber auch für die Staatsfinanzen. Was vor allem muß bei welcher Koalitionsmöglichkeit unter einen Hut gebracht werden, was würde oder könnte sich ergeben?

l Schwarz-Rot: Eine Große Koalition aus CDU/CSU und SPD mit ihrer komfortablen Mehrheit ist für beide von einigem Reiz und trotz persönlicher Animositäten alles andere als unwahrscheinlich. Aber die Unterschiede in den Programmen zur Arbeitsmarkt-, Steuer- und Gesundheitspolitik sind derart schwer überbrückbar, daß bestenfalls eine Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners herauskommt - anderenfalls eine gegenseitige Blockade.

Im Ungewissen schwebt, wie der Staat von seiner Überschuldung herunterkommen soll. Berührungspunkte finden sich bei der Alterssicherung: Das Umlageverfahren soll bestehen bleiben, aber durch eine kapitalgedeckte, private Altersvorsorge ergänzt werden. Die verbalen Unterschiede in der Energiepolitik ließen sich überbrücken. Die SPD will am Ausstieg aus der Kernkraft festhalten, die Union die Laufzeit der Kernkraftwerke verlängern. Die SPD setzt auf "klimaverträgliche" Kohlekraftwerke und wird damit bei der Union nicht auf Widerstand stoßen. Beide treten für regenerative Energie ein.

Erste Stimmen aus der Wirtschaft wollen wissen, auch in einer großen Koalition könne man einiges bewegen, sie müsse nicht Stillstand bedeuten, sie werde für die Wirtschaft keine dramatischen Folgen haben, noch sei nicht alles verloren. Aber sie sind entweder Hilflosigkeiten oder schon eilfertige Anbiederungen.

l Schwarz-Gelb-Grün: Die "Jamaika-Koalition" mit 55 Prozent der Sitze hätte mit den Grünen eine Partei im Boot, die zwar auch für ein einfacheres Steuerrecht eintritt, aber gegen weitere Steuersenkungen ist, die zwar auch die Alterssicherung durch eine private Vorsorge ergänzen will, die jedoch Eingriffe in die Tarifautonomie, den Kündigungsschutz und längere Wochenarbeitszeiten ablehnt, die alle Bürger in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) zwingen will, die am Atomausstieg festhält und die weiterhin die Landschaft mit hochsubventionierten Windkraftanlagen übersähen möchte. Ob Schuldenabbau und Haushaltskonsolidierung ernsthaft betrieben werden, ist ungewiß. Aber Wille und Fähigkeit dazu dürften stärker zur Geltung kommen als bei einer Großen Koalition.

Manche halten die "Jamaika-Koalition" für erfolgversprechender als eine große Koalition. Dabei wird etwa auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verwiesen, weil sich die Grünen für flexiblere Arbeitszeiten (Familien-Teilzeit, "Job-Rotation", "Job-Sharing") einsetzen, für die auch Union und FDP zu haben wären.

Zwar haben die Grünen einige wirtschaftsliberale Züge, aber die wirklich nötigen Reformen sind auch von diesem Bündnis nicht zu erwarten. Denn schon die Wirtschaftsprogramme von den einstigen Wunschkoalitionären Union und FDP kontrastieren im Grundsätzlichen. Die FDP setzt auf weniger Staat, mehr individuelle Freiheit und mehr Selbstverantwortung.

Die CDU und CSU wagen dies nicht. Die Wähler haben sie anscheinend schon wegen des wenigen, das sie offen benannt haben (höhere Mehrwertsteuer, Paul Kirchhof als Finanzminister) deutlich abgestraft. Im Gesundheitswesen hält die Union am System der GKV fest, die FDP will einen Systemwechsel hin zur Mindest-Versicherungspflicht für alle - bei freier Wahl der Versicherungsgesellschaft und der Selbstbeteiligungen.

In der Arbeitsmarktpolitik wollen beide den Kündigungsschutz lockern, das Tarifkartell aufbrechen und statt dessen für betriebliche Beschäftigungsbündnisse eintreten. Gemeinsamkeiten gibt es beim Vorhaben, die Hartz-Reformen zu überprüfen, mit neuen Ich-AG Schluß zu machen und Arbeitslose durch Anreize zur Rückkehr in die Wiederbeschäftigung zu bewegen. Doch die FDP will mehr: die Bundesagentur für Arbeit auflösen, statt ihrer die "aktive Arbeitsmarktpolitik" auf die "Job-Center" übertragen und die Arbeitslosenversicherung von allen versicherungsfremden Leistungen befreien.

In der Alterssicherung wollen beide die "private Ergänzung" ausbauen und vereinfachen. Zudem wollen Union und FDP den Rentenbeitragssatz festschreiben sowie die Lebensarbeitszeit verlängern. In der Steuerpolitik planen Schwarz und Gelb, die Einkommensteuer zu vereinfachen, Befreiungen und Ausnahmen zu streichen sowie Schlupflöcher zu schließen. Knackpunkte dagegen werden die Steuersätze sein, ferner die von der CDU angekündigte höhere Mehrwertsteuer und die von der FDP geplante Abschaffung der Gewerbesteuer.

l Rot-Gelb-Grün: Die "Ampel-Koalition" hat die FDP bislang klar abgelehnt, doch ein Zustandekommen könnte zumindest ein einfacheres Steuersystem bringen, das FDP und Grüne versprochen haben. Geringere Sätze und Belastungen aber würden an den SPD-Vorstellungen scheitern - und an der katastrophalen Haushaltslage. Und wie die "Ampel" diese in den Griff bekommen will, ist offen wie bei den anderen Konstellationen. Die Ideologien von FDP und SPD sind in ihren wirtschaftlichen Ausprägungen so gut wie unvereinbar, die Konflikte daraus zu groß. SPD und Grüne haben sich immerhin schon in der bisherigen Koalition zu Gemeinsamkeiten zusammengerauft; gegen sie könnte die FDP ihre Vorstellungen allenfalls minimal durchsetzen.

l Rot-Rot-Grün: Eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei wird von allen Partnern für die kommende Legislaturperiode ausgeschlossen - nicht nur aus inhaltlichen, sondern vor allem auch aus persönlichen Gründen. Die Animositäten zwischen Gerhard Schröder (SPD) und Oskar Lafontaine (Linkspartei) scheinen größer als die Unterschiede in den Parteiprogrammen. Und im Bundesrat stünde allen Gesetzen eine Zwei-zu-14-Länder-Mehrheit entgegen.

Fazit: Ein Neuanfang, eine wirkliche Wende, die nachhaltig zum Wiedererstarken der Wirtschaftskraft führen und den erreichten Wohlstand zumindest sichern würde, ist nicht in Sicht. Die Chance zum wirtschaftspolitischen Neubeginn wird vertan. Aber die meisten Wähler haben es so gewollt. Sie fürchten sich vor wirklichen Reformen, glauben, sie könnten ihnen ausweichen. Nun werden sie (und alle übrigen) die selbsteingebrockte Suppe auslöffeln müssen - und wiederum zu spät merken, wie entsetzlich dünn die ist.

 

Dr. Klaus Peter Krause war bis Ende 2001 verantwortlich für Wirtschaftsberichterstattung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis Ende 2003 Geschäftsführer der FAZIT-Stiftung.


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