© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/05 16. September 2005

Freund-Feind-Konstellation
Carl Schmitts Werk polarisiert immer noch die wissenschaftlichen Lager
Sven Beier

Ist Carl Schmitt ein Klassiker? Wenn sich ein Klassiker dadurch ausweist, daß er gerühmt, aber nicht gelesen wird, dann gewiß nicht. Es geraten eben immer noch, wie augenblicklich in der hitzigen französischen Debatte (siehe den Beitrag von Alain de Benoist), zu viele Gemüter in Wallung, wenn sie seinen Namen hören. Und der Fischzug in den "einschlägigen" Texten setzt ja stets Lektüre voraus, obwohl mitunter der Eindruck entsteht, in der in den letzten Jahren vornehmlich auf den "Rassisten" und "Judenfeind" fixierten Anti-Schmitt-Szene kursiere lediglich ein Taschenbrevier mit den hundert verwerflichsten Zitaten aus einem fast siebzig produktive Jahre umfassenden Lebenswerk.

Von den sporadischen Erregungen des Feuilletons einmal abgesehen: Auch in der wissenschaftliche Ansprüche erhebenden, mittlerweile im Uferlosen verschwimmenden Literatur über Schmitt ist ein polemischer Grundzug omnipräsent. Das Werk polarisiert, produziert unablässig Freund-Feind-Konstellationen im Deutungskrieg. Unverkennbar dabei die Anstrengung, Schmitt als zeitgebundenen politischen Theoretiker in den Käfig des längst obsoleten Kampfes gegen "Weimar - Genf - Versailles" zu verbannen: Die Fragen, auf die seine Texte antworteten, seien doch wirklich nicht mehr unsere Fragen. Denn offensichtlich befinde sich die parlamentarische Demokratie weder in Deutschland noch sonstwo in der westlichen oder der dem unwiderstehlichen Charme der nordatlantischen Kultur erlegenen restlichen Welt in jener "Krise", die die autoritären Regime der zwanziger und dreißiger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts gebar. Das erübrige wohl heute die Suche nach Hütern der Verfassung, Diktatoren, Führern und ähnlichen Chargen aus der politischen Permzeit.

Gleichwohl zeigt solche herablassende Selbstgewißheit Risse. Wann können die Staatskassen den sozialen Frieden nicht mehr finanzieren? Und dann? Was die multiethnischen Industriegesellschaften morgen zusammenhalten könnte, wenn das Geld und das Reservoir der tradierten kulturellen Bestände erschöpft sein werden, das ängstigt zumindest jene, die sich nicht dem freidemokratisch-grünen Illusionismus der aus "Patchwork-Identitäten" assoziierten "Risikogesellschaft" ergeben haben, in die wir uns alle hineinzufinden hätten.

Anti-universalistische Konzeption der Welt

Nicht weniger als der Staats- und Verfassungsrechtler Schmitt scheint im Äon des "weltstaatlich" sich anbahnenden, globalistisch befeuerten multikulturellen Kosmopolitismus auch der Theoretiker des sich ans antiquierte jus publicum europaeum klammernde Völkerrechts nur für den Liebhaber politischer Ideengeschichte noch interessant. Obwohl auch hier Verunsicherung um sichzu greifen beginnt. Entwirft Schmitts anti-universalistische Konzeption des in "Großräumen" aufgeteilten Erdballs nicht doch eine realitätsgerechte Vision für das 21. Jahrhundert? Angesichts der im irakischen Desaster versinkenden, bedrohlich aufsteigender chinesisch-indischer Konkurrenz infantil-hilflos gegenüberstehenden One-World-Vision des profitheckenden "Wallstreet-Regimes", das schon im Iran an die Grenzen seiner Interventionsmacht stößt? Fragen, die nicht erst die Bilder aus dem von "Katrina" in eine pandämonische Karikatur der verheißenen US-"Weltgesellschaft" verwandelten New Orleans aufwerfen.


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