© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/05 16. September 2005

Die vierte Gewalt im Staat
Geflecht: Die Suche nach Kirchhofs Streichliste brachte die Lobbyisten-Szene kurzzeitig in Aufruhr
Paul Rosen

Im Grundgesetz kommt der Begriff Lobbyismus nicht vor, aber Lobbyisten sind längst zur vierten Gewalt in der Berliner Republik geworden. Es gibt kaum ein Politikfeld, wo Verbands- und Unternehmensvertreter, Politik- und Wirtschaftsberatungen nicht ihre Finger drin hätten. Grundsätzlich gilt: Lobbyisten sind dort besonders aktiv, wo es um die Verteilung größerer staatlicher Mittel geht.

Wer durch das Berliner Regierungsviertel geht, wird überall auf Türschilder mit bekannten Namen stoßen - vom Rüstungsproduzenten Krauss-Maffei-Wegmann unmittelbar am Brandenburger Tor bis zum Medienkonzern Bertelsmann in der Nähe des vor dem Abriß stehenden ehemaligen Palastes der Republik.

Hinzu kommen zahlreiche Politikberatungen. Eine der einflußreichsten war sicherlich WMP Eurocom. Diese Beratungsfirma, in deren Diensten zahlreiche ehemalige Politiker und auch Journalisten standen, geriet in die Schlagzeilen, weil sie die Bundesagentur für Arbeit für teures Geld beriet.

Unvergessen ist auch die Hunzinger-Politikberatung, die dem damaligen Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) sogar in Kleiderfragen zur Seite stand. Hunzingers Methode bestand darin, Politiker und Wirtschaftsbosse in sogenannten politischen Salons zusammenzubringen und dadurch Kontakte zu knüpfen.

Die Berufung des parteilosen ehemaligen Verfassungsrichters Paul Kirchhof in das Kompetenzteam von Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel brachte die Szene in Aufregung. Kirchhofs Plan, alle steuerlichen Ausnahmetatbestände zu streichen, hätte viele Unternehmen in Schwierigkeiten bringen können. In der Szene setzte eine hektische Suche nach Kirchhofs Streichliste ein, die dieser jedoch selbst noch nicht fertig hatte. Die Reaktionen vieler Ministerpräsidenten und Länderfinanzminister auf Kirchhof waren ebenfalls sehr kritisch.

Inzwischen hat sich die Lobbyisten-Truppe beruhigt. Recherchen ergaben, daß Kirchhof, sollte er denn überhaupt Finanzminister werden, in der Union über keinen Rückhalt verfügt. Ihm fehlt die für einen Politiker unerläßliche Hausmacht.

Sollte der Professor aus Heidelberg tatsächlich die Gelegenheit bekommen, seine Visionen in einen Gesetzentwurf zu gießen, sieht die Lobby-Szene dies mittlerweile gelassen. Durch direkte Einflußnahme auf Abgeordnete und Länderregierungen halten es Lobbyisten für möglich, die Interessen ihrer jeweiligen Auftraggeber zu wahren und die Vorstellungen vom schönen und einfachen Steuerrecht ad absurdum zu führen.

Wer die Berliner Szene kennt, weiß, daß das Wort von der "gekauften Republik" alles andere als ein Klischee ist. Es sind genügend Politiker bekannt, die Unternehmen und Verbandsvertreter auf Spenden angesprochen und diese auch bekommen haben. Natürlich erfolgen solche Zahlungen ohne das Versprechen fester Gegenleistungen, sonst wären es keine Spenden. Doch wenn der Lobbyist später um einen Gefallen bittet, wird der Abgeordnete den kaum verweigern können.

Die Lobby bedient sich wiederum des Sachverstandes und der Kontakte von Politikern. Viele Abgeordnete, Minister oder Staatssekretäre, die aus dem Parlament oder der Regierung ausscheiden ist, gehen in den Dienst einer Politikberatung. Auch ehemalige Mitarbeiter von Politikern finden sich hier wieder. So entsteht ein von der Verfassung nicht vorgesehenes einflußreiches Netzwerk über alle Parteigrenzen hinweg. Man kennt sich, und man hilft sich gerne.

Die Einflußnahme dürfte in den seltensten Fällen die Dimensionen annehmen, die im kürzlich zu Ende gegangenen Prozeß gegen den ehemaligen Staatssekretär im Verteidigungsministerium Holger Pfahls deutlich wurden. Pfahls erhielt Millionensummen. Der eigentliche Zweck der Zahlungen blieb jedoch im dunklen. Das Panzer-Geschäft mit Saudi-Arabien, für das die Zahlungen angeblich geleistet wurden, war politisch unumstritten. Aber daß heute noch Geld fließt, wenn auch keine Millionen mehr, steht für intime Kenner der Szene fest.

Das Lobby-Geschäft funktioniert eigentlich recht einfach. Nehmen wir an, eine große Firma hat Interesse an einem Staatsauftrag. Zur Verbesserung der politischen Kontakte unterhält sie entweder eine eigene Vertretung in Berlin oder beauftragt eine der vielen Lobby-Firmen.

Diese Vertretungen in Berlin sind alle nach dem gleichen Muster aufgebaut. Die in den Büros tätigen Mitarbeiter waren im Regelfall früher in den verschiedenen Fraktionen tätig. Lobbyisten müssen davon ausgehen, daß sich Mehrheiten ändern, und deshalb ist es unerläßlich, gute Kontakte zur jeweiligen Opposition zu pflegen.

Der Lobbyist hat durch die Vernetzung frühzeitig Hinweise auf Tagesordnungen der Ausschüsse und besonders des Haushaltssausschusses, durch den jedes wichtige Projekt muß. Der Lobbyist weiß, was in den Vorbesprechungen der Obleute der Fraktionen los war. Im besten Fall begleitet er den Weg einer Vorlage von der Erstellung im Fachministerium bis zur Beratung und Zustimmung im Haushaltsausschuß. Wenn es gut läuft, werden die von dem Lobbyisten verfaßten Papiere gleich in die Beschlußvorlage eingearbeitet. Das ist der Regelfall in der Berliner Republik, egal ob es um steuerliche Maßnahmen, eine Gesundheitsreform oder um Rüstungsprojekte geht.

Schwieriger wird es, wenn sich Abgeordnete (im schlimmsten Fall zuständige Haushaltsexperten) als unbestechlich oder - aus Sicht des Lobbyisten - als ignorant erweisen und eine Beschaffungsvorlage Gefahr läuft, in den Papierkorb zu wandern. In diesem Fall wird dann zu schärferen Waffen gegriffen: Man versucht es mit Einflußnahme auf die jeweiligen Fraktionsführungen, um den Widerstand über die höhere Ebene zu brechen.

Hilfreich ist auch das Aufbauen einer öffentlichen Drohkulisse. So verstanden es die Manager des früheren Flugzeugkonzerns MBB meisterhaft, mit Entlassungen von Mitarbeitern zu drohen, falls dieser oder jener Auftrag nicht zustande komme. Lobbyisten wissen auch Kontakte zu den Medien zu nutzen. Es ist die Rede davon, daß Großkonzerne in allen wichtigen Redaktionen "ihre" Leute sitzen haben.

In diesem Berliner Geflecht leben alle Beteiligten äußerst angenehm. Man zahlt keine Restaurant-Rechnungen, sondern hat immer einen Sponsor mit Kreditkarte am Tisch. Einladungen zu Konzerten, Theater und Reisen sind garantiert. Wenn sich viele Bürger über unverständliche Entscheidungen wundern sollten, so findet sich die Erklärung in diesem Berliner Netzwerk. Vielleicht sollte man es besser einen Sumpf nennen. Paul Rosen

Foto: Blick in die gutbesuchte Bar "Ständige Vertretung" in Berlin-Mitte: Man kennt sich, und man hilft sich gerne


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