© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/05 16. September 2005

Moderner, weiblicher und telegener
Japan: Die LDP von Premier Koizumi erzielt Erdrutschsieg / Hauptthema war die Postprivatisierung / Opposition steht vor einer Zerreißprobe
Albrecht Rothacher

Zur großen Überraschung von Politik, Wirtschaft und Demoskopie gewann Premier Junichiro Koizumi nach der vorzeitigen Auflösung des Unterhauses am 11. September (siehe JF 37/05) mit 296 von 480 Mandaten eine klare Mehrheit für seine von Dissidenten gesäuberte Liberaldemokratische Partei (LDP). Mit diesem Rückenwind an Stimmen wird er als erstes versuchen, sein Lieblingsprojekt, die Privatisierung der japanischen Post, von beiden Kammern des Parlaments absegnen zu lassen.

Doch der 63jährige Koizumi hat im Oberhaus, wo die Gesetze im August gescheitert waren, weiter keine Mehrheit. Er konnte die erste Kammer aber nicht auflösen und koaliert deshalb weiter mit der buddhistischen Neuen Komeito (Partei für öffentliche Reinheit). Was Koizumi außer der Postreform noch anpacken will, bleibt sein Geheimnis. Die Postreform war sein einziges - und höchst erfolgreiches - Wahlkampfthema. Ob er tatsächlich wie angekündigt nach diesem Wahlsieg im September 2006 zurücktreten wird, wenn seine Amtszeit als LDP-Chef endet, ist auch offen. Die Unvorhersehbarkeit seiner Absichten macht bei aller unjapanischen Direktheit der Problemansprache den Mediennimbus dieses einzelgängerischen Premiers aus. Auch in seinem fünften Amtsjahr ist die Mehrheit der japanischen Wähler noch immer von seinem Stil fasziniert.

Die nationalliberale LDP gewann vergangenen Sonntag mit 47,8 Prozent der Stimmen in den 300 Einzelwahlkreisen 219 Direktmandate. Über die Verhältniswahllisten der Regionen kommen noch einmal 77 Sitze hinzu. In Tokio muß die LDP allerdings ein ihr zustehendes Mandat an die Sozialdemokraten abgeben. Wegen des hohen Ergebnisses dürften eigentlich acht Kandidaten über Listenplätze ins Parlament kommen. Weil aber fast alle Listenkandidaten ein Direktmandat gewonnen haben, blieben nur sieben Listenkandidaten übrig.

Der Koalitionspartner Komeito rutschte von 34 Sitzen auf 28 Sitze. Das oppositionelle Mitte-Rechtsbündnis der Demokraten verlor mit 36,4 Prozent 64 Sitze und ist jetzt nur noch mit 113 Abgeordneten im Unterhaus vertreten. Parteichef Katsuyo Okada trat noch in der Wahlnacht zurück. Ein Nachfolger ist noch nicht in Sicht. Die aus abtrünnigen LDP-Politikern und rechten Sozialdemokraten entstandene Partei steht nun vor einer Zerreißprobe.

Die linken Sozialdemokraten, vor einem Jahrzehnt noch die zweitstärkste Kraft Japans, werden wegen des Mehrheitswahlrechts nur sieben Mandate, die Kommunisten nur noch neun Abgeordnete stellen. Beide haben als altlinke und traditionspazifistische Formationen nur noch bei den Lehrergewerkschaften Rückhalt.

Spannender war der Kampf der 37 von Koizumi aus der Partei geworfenen Parteirebellen gegen die vom Premier in ihren Wahlkreisen plazierten "Killerkandidaten". Diese waren oft intelligente, gutaussehende jüngere Frauen, die schon aus Film und Fernsehen bekannt als Repräsentanten des von Koizumi propagierten "neuen" Japans den altersgrauen ungehorsamen Platzhirschen des "alten" Japans das angestammte Revier abjagen sollten. Tatsächlich gelang dies nur in neun Fällen, zumeist in großstädtischen Wahlkreisen mit einem hohen Anteil medial beeindruckbarer Wechselwähler. In den ländlichen Wahlkreisen blieb man dem vielfach bewährten Ex-LDP Abgeordneten treu.

So auch dem 68jährigen Rebellenführer Shizuka Kamei, einem mehrfachen Minister und vormaligen Polizeioffizier, der als Koizumis innerparteilicher Erzfeind dessen präsidialen Stil "schlimmer als Hitler" nannte. Kamei hielt seinen Wahlkreis in der ländlichen Umgebung Hiroshimas, wo er zehntausend Wähler namentlich kennen soll, souverän gegen den von Koizumi geschickten Gründer der erfolgreichen Internetseite Livin' on the Edge, Takafumi Horie.

Der 32jährige, der in diesem Jahr - finanziert durch eine US-Investmentbank - eine feindliche Übernahme des Privatsenders Fuji TV versuchte, sprach von seinen Internetvisionen, doch die Wähler wollten von ihm zu seinem Erstaunen nur wissen, was er für ihren Wahlkreis zu tun gedenke. Da war dann nicht viel. Die meisten der Killerkandidaten waren jedoch über Listenplätze abgesichert, weswegen das japanische Unterhaus mit einem Durchschnittsalter von 52 Jahren jetzt wesentlich verjüngt, mit 43 Frauen als Abgeordnete weiblicher und telegener zu werden verspricht.

Irak-Krieg, China-Politik oder Rekordschulden kein Thema

Im Wahlkampf gab es sonst nur ein Hauptthema - die Postprivatisierung. Sie machte Koizumi erfolgreich zum Symbol des Aufbruches aus den alten Verkrustungen der mit der Bauwirtschaft versippten Ausgabenpolitik, die von den Milliardeneinlagen der Staatspost zum Großteil finanziert wird. Die Wähler nahmen ihm jene Zuspitzung seines dramatisch inspizierten Kampfes gegen das alte stagnierende Japan, das von Koizumis innerparteilichen Feinden repräsentiert wurde, gerne ab. Die Wahlbeteiligung stieg mit 67 Prozent von 103 Millionen Wählern auf ein neues Hoch. Es gelang den Demokraten nicht, auch nur ein einziges Gegenthema - die unpopuläre Beteiligung am Irakkrieg, die schlechten Beziehungen zu China und Korea oder die Rentenkürzungen - ähnlich zu lancieren.

Bei seinem Amtsantritt 2001 wurde Koizumi als Sprücheklopfer ohne Hausmacht verlacht. Auch wenn die Liste umgesetzter Reformvorhaben eher dürftig ist, spottet jetzt niemand mehr. Die konservative Zeitung Yomiuri meint, Koizumi wolle die LDP nach dem Muster der US-"Neokonservativen" umformen: Eine wirtschaftsliberale Agenda, verbunden mit einem engen Bündnis mit den USA und dem kraftvollen Vertreten nationaler Anliegen - seien es Ansprüche auf umstrittene Inseln in der Nachbarschaft, patriotische Inhalte im Bildungswesen oder der jährliche Besuch am Yasukuni-Schrein für die japanischen Kriegstoten.

Das Koalitionsabkommen mit der Komeito erwähnt neben der Postreform nur Gesetzesvorhaben gegen die Asbestverseuchung und Vorbeugemaßnahmen gegen Flutkatastrophen. Dabei hat Japan mit umgerechnet 6.400 Milliarden Euro Staatsschulden, die 160 Prozent des Bruttoinlandsprodukte entsprechen, sicher weitreichenden Reformbedarf zur Sanierung seiner Finanzen.

Auch die demographische Lage ist katastrophal. In diesem Jahr übertreffen erstmals die Sterbezahlen die weiter schrumpfenden Geburten. In 20 Jahren werden 28 Prozent der Japaner über 65 sein. Mit einer so überalterten Bevölkerung ist kein Wirtschaftswachstum mehr möglich. Koizumi hat jetzt die Legitimation zum Handeln. Die parlamentarische und die innerparteiliche Opposition sind niedergekämpft. Ob er seine Chance nutzen will, weiß vermutlich noch nicht einmal er selbst.

Foto: Premier Koizumi (2.v.l.) mit LDP-Politikern: Partei nach dem Muster der US-"Neokonservativen"


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