© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/05 16. September 2005

Die Woche
Im März mit Merz?
Fritz Schenk

Das zumindest hat Bundeskanzler Gerhard Schröder noch auf die Reihe gebracht: Der nächste Kanzler - ob er denn wieder Schröder oder dann Angela Merkel heißt - kann den Bundestag genauso überraschend und nach eigenem Gutdünken zu jedem ihm genehmen Zeitpunkt auflösen wie der (noch) Amtsinhaber. Die nächste Legislaturperiode muß daher nicht einmal drei Jahre dauern.

Daran zu denken, ist wenige Tage vor dem Urnengang keinesfalls abwegig. Das anfänglich satte Polster für Schwarz-Gelb, insbesondere der deutliche Vorsprung der Union vor den Sozialdemokraten, ließen einen sicheren Wahlsieg für Angela Merkel vermuten. Damit rechnet niemand mehr. Das Ergebnis dürfte knapp werden - für das eine wie für das andere Lager. Und geradezu zum Treppenwitz der Geschichte entwickelt sich, daß fast genau zum 15. Jahrestag der Wiedervereinigung ausgerechnet die Bankrotteure der SED zum "Zünglein an der Waage" für eine Regierungsbildung zu werden drohen.

Sicher scheint derzeit nur eines: Die FDP hat sich am deutlichsten festgelegt, nämlich nach der Wahl nur mit der Union zu koalieren. Wenn also Rot-Grün allein nicht mehr kann, kommen die anderen Optionen ins Spiel: Rot-Grün in Koalition oder als Minderheitsregierung mit Duldung der SED-Nachfolger. Das möchte niemand ausschließen, denn über Schröder und SPD-Chef Franz Müntefering, die das für sich strikt verneinen, würde dann in der SPD wohl ohnehin die Karriereakte geschlossen. Bliebe also noch die große Koalition aus Schwarz-Rot, die sogar von einer beträchtlichen Zahl von Wählern ganz gern gesehen würde.

Das aber wäre die schwächste aller möglichen Gruppierungen. Sie bestünde zur erdrückenden Mehrzahl aus Berufsfunktionären, die alle bestehenden Besitzstände mit Vehemenz verteidigen würden. Nichts ist heute mit der Großen Koalition zwischen 1966 und 1969 vergleichbar, weil es sich in dieser bisher einzigen schwarz-roten Koalition auf Bundesebene um ganz andere Probleme und ganz andere Persönlichkeiten gehandelt hatte als heute. Aber auch dort waren die Gemeinsamkeiten nach zwei Jahren verbraucht. Ihr letztes Regierungsjahr war eine zähe Phase bloßen Verwaltens, gegenseitigen Mißtrauens und der Vorbereitung auf den nächsten Wahlkampf.

Die Möglichkeit einer Niederlage verunsichert die CDU am stärksten. Gerade in ihr - und ausgerechnet in der entscheidenden Phase des Wahlkampfes - ist jene "Kakophonie" ausgebrochen, die Schröder und die SPD vor zwei Jahren in den Abwärtsstrudel gerissen hatte. Und ausgerechnet Merkels Trumpfas Paul Kirchhof war der Auslöser. Nun plötzlich bringen ihre vermeintlichen Hauptstützen Christian Wulff, Roland Koch, Günther Oettinger und andere Landesfürsten Friedrich Merz wieder ins Spiel, den die Vorsitzende zunächst erst einmal aufs Abstellgleis geschoben hatte. Ahnen sie, daß aus diesem Wahlkampf vielleicht nur ein Übergangskabinett hervorgehen wird? Dann könnte sich die politische Landschaft personell nachdrücklicher verändern, als das je bisher der Fall gewesen war. Denn wenn die nächste Regierung scheitert oder gar nicht richtig aus den Startlöchern kommt, wäre es nicht unwahrscheinlich, daß wir im März schon wieder zu den Urnen gerufen werden - mit Friedrich Merz an der Spitze der Union? Schon der Sonntag dürfte spannend werden.


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