© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/05 16. September 2005

Verwaltungsvorschrift sorgt für Dammbruch
Enteignungen: Behörden rehabilitieren Opfer der "Boden- und Industriereform" / Bislang keine Rückgabe von Eigentum
Klaus Peter Krause

Ein Damm beginnt zu brechen. Mehr und mehr und Fall für Fall wird amtlich-förmlich festgestellt: Wem die Kommunisten von 1945 bis 1949 in der einstigen Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), getarnt unter dem schönfärberischen Begriff "Demokratische Boden- und Industriereform", alles Eigentum entrissen und wenn sie zugleich von Haus, Hof und Betrieb verjagt haben, der ist Opfer schwerster politischer Verfolgung und grober Rechtsstaatswidrigkeit.

Diese Anerkennung und die damit verbundene Rehabilitierung als solche Opfer wurden den betroffenen Menschen seit der Wiedervereinigung von 1990 durchweg versagt. Das geschah aber allein deshalb, weil dann der gesamtdeutsche Staat das geraubte Eigentum den Familien hätte zurückgeben müssen, das ihm mit dem Untergang der DDR als "Volkseigentum" in die Hände gefallen war. Er verweigerte die Rückgabe, um sich am Verkauf dieser Vermögenswerte fiskalisch zu bereichern.

Amtliche Feststellung ohne Klageverfahren

Die Rückgabe verweigert er nach wie vor, aber zumindest an der Anerkennung und Rehabilitierung als Opfer politischer Verfolgung kommt er jetzt nicht mehr herum. Die Anspruchsgrundlage ist eine nachträglich eingefügte und von den Opfern bisher kaum genutzte Vorschrift im Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (VwRehaG). Danach stellen die Behörden in einigen neuen Bundesländern auf Antrag der Opfer nunmehr seit kurzer Zeit den grob rechtstaatswidrigen Verfolgungscharakter der Vertreibung bei den als "Boden- und Industriereform" ausgegebenen Maßnahmen förmlich fest. Diese amtliche Feststellung ist vor allem in Sachsen-Anhalt auch ohne langes Klageverfahren erreichbar.

Noch immer aber verweigern diese Behörden, die Akte der Vermögenseinziehung ebenso zu rehabilitieren. Gleichwohl belegen solche Rehabilitierungsbescheide allein für die Vertreibung nun auch amtlicherseits, daß die damals Verfolgten keineswegs nur Opfer bloßer Vermögensverluste sind, sondern vielmehr auch grob rechtstaatswidrigen, massiven Eingriffen in ihre Freiheits- und Persönlichkeitsrechte ausgesetzt waren, die der politischen Verfolgung dieser Bürgerschicht als "Klassenfeind" dienten. Damit wird die seit der Wiedervereinigung in die politische Diskussion lancierte Denkschablone aufgebrochen, damals in der SBZ sei es nur um eine Reform zur Umverteilung von Eigentum gegangen.

Die Opfer selbst und ihre Mitstreiter haben sich stets dieser Schablone widersetzt und sich von dem damit aufgenötigten politischem Tabu nicht beirren lassen, aber die meisten Politiker der großen Parteien und die meisten Medien haben sie in der Öffentlichkeit stets wie eine heilige und anbetungswürdige Monstranz herumgetragen - und tun es heute noch. Damit verfälschen sie einen bedeutsamen Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte. Die zuständigen Behörden tun es nicht mehr und können es auch nicht, denn die Vorschrift im VwRehaG ist eindeutig.

Nach Auskunft des Berliner Rechtsanwalts Stefan von Raumer ist bisher jedwede Rehabilitierung von Unrechts- und Verfolgungsmaßnahmen in der sowjetischen Besatzungszeit als rechtliches Tabu angesehen worden. Doch nunmehr habe sich die Rehabilitierungspraxis der Behörden geändert. Freigeschlagen wurde der Weg anfangs durch das von Raumer erstrittene Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 2. März 2003 (11 K 2664/99) und dann durch einige vergleichbare Urteile anderer Verwaltungsgerichte.

Diese Urteile brachten die zuständigen Rehabilitierungsbehörden dazu, Kreisverweisungsakte, die im Zusammenhang mit der "Bodenreform" ergangen waren, zu rehabilitieren. Daraus hat sich in den letzten Monaten, wie von Raumer sagt, "eine rege Rehabilitierungspraxis" entwickelt. Die zuständigen Behörden würden die Opferfamilien, die bei ihnen Rehabilitierungsanträge gestellt hätten, nun sogar von sich aus über die Möglichkeit der Vertreibungsrehabilitierung unterrichten. Klageverfahren seien in diesem Bereich derzeit kaum mehr erforderlich.

Zur Rückgabe der noch in Staatshand befindlichen Immobilien führen diese Rehabilitierungen gleichwohl nicht. Dennoch spricht sich von Raumer dafür aus, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen. Weder sei sie riskant noch kostenaufwendig. Immerhin befreie diese moralische Rehabilitierung die Opfer nun auch rechtlich abgesichert von der damaligen Kollektivbeschuldigung, "Nazi-Aktivist und Kriegsverbrecher" gewesen zu sein. Ferner könne die amtliche Anerkennung der erlittenen, grob rechtsstaatswidrigen Verfolgungsunrechts Vorteile in einer rechtspolitischen Diskussion bringen. Geführt werden müsse sie über die rechtsstaatswidrige Diskriminierung der Opfergruppe aus der SBZ-Zeit gegenüber den Opfern aus der Nazi- und aus der DDR-Zeit.

Entschieden gegenteiliger Ansicht ist von Raumers Kollege Thomas Gertner. Die empfohlene Vorgehensweise sei schädlich und für das Durchsetzen von Ansprüchen aller Betroffenen auf angemessene Rehabilitierung kontraproduktiv. Diese erscheine allein nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz denkbar - zumindest derzeit. Gertner befürchtet, daß die nur moralisch ("verwaltungsrechtlich") rehabilitierten Opfer ein künftiges Verfahren mit dem Verlangen nach "strafrechtlicher" Rehabilitierung mit den dann auch vermögensrechtlichen Folgen (Rückgabe) nicht mehr betreiben könnten.

Von Raumer teilt Gertners Meinung nicht und trägt dafür eine Reihe von Begründungen vor. Auch werde die rechtspolitische Diskussion über die rechtsstaatswidrige Diskriminierung "der Opfergruppe 1945 bis 1949" schon deswegen geführt werden, weil die nur moralische Rehabilitierung amtlich und rechtswirksam dokumentiere, daß die politische Verfolgung des gesamten gehobenen Bürgertums als "Klassenfeind" des Kommunismus bislang zu einer bloßen Reform durch Enteignung geschichtlich verharmlost und verfälscht worden sei.

Tiefgreifende Folgen für den Rechtsstaat

Diese Verfälschung hat tiefgreifende Folgen nicht nur für Deutschland als Rechtsstaat, sondern auch für den wirtschaftlichen Aufbau in den DDR-geschädigten fünf neuen Bundesländern. Weil der gesamtdeutsche Staat dieser Bürgerschicht das geraubte Eigentum seit 1990 nicht wieder zurückgibt und sie nicht nur dadurch an der Rückkehr hindert, hat er wesentliche Investoren für eine nachhaltige Gesundung der ostdeutschen Wirtschaft und die Antriebskräfte für eine Wiederbelebung des Bürgertums dort ausgesperrt. Dies ist nicht nur unglaublich töricht, es ist auch ein unglaubliches Wirtschaftsverbrechen und ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Damit haben gerade FDP und die Unionsparteien jene Wähler verloren, die sie auch für die Bundestagswahl am 18. September dringend benötigen.


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