© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/05 16. September 2005

Von Neutralität ist kaum noch die Rede
Wahlkampf IV: Gewerkschaftsfunktionäre unterstützen Regierungskoalition / Streit um Haltung zur Linkspartei
Josef Hämmerling

Die angekündigte Neutralität der Gewerkschaften bröckelt. Je näher der Wahltermin 18. September kommt, desto lauter werden die Wahlempfehlungen für die SPD - und für die Linkspartei. Doch gerade letzteres könnte zu einer Zerreißprobe innerhalb der Gewerkschaften führen. Einig sind sie sich nur in einem Punkt: der Ablehnung einer möglichen schwarz-gelben Regierung.

Zwar wollte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Michael Sommer nach einem Treffen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder in der vergangenen Woche keine Wahlempfehlung für die SPD geben. Doch was sind die folgenden Äußerungen anderes: "Wir haben seit der Regierungserklärung von Gerhard Schröder im März dieses Jahres bis hin jetzt zur Parteitagsrede eine deutliche Hinwendung wieder auf die Themen und auf die Positionen, die wir auch vertreten."

DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer (SPD) sagte, bei den Inhalten der Parteien müßten die Gewerkschaften sich sehr wohl einmischen. "Es muß klar werden, worum es überhaupt geht: Tarifautonomie, Kündigungsschutz, Mitbestimmung. Unsere Mitglieder sind mündig genug, um daraus ihre Schlußfolgerungen zu ziehen." Auffällig ist nur, daß diese drei Punkte genau diejenigen sind, die die Gewerkschaften an den Unionspunkten am heftigsten kritisieren. Sehr einfach macht es sich der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten (NGG), Franz-Josef Möllenberg. Seine Unterschrift unter den von Ex-Bundesarbeitsminister Walter Riester initiierten Wahlaufruf für die SPD habe er lediglich als "Privatperson" getätigt.

Die Gewerkschaftsmitglieder könnten da schon unterscheiden. Über diese "Logik" kann man nur den Kopf schütteln, da wohl die Privatperson Möllenberg ohne sein Gewerkschaftsamt niemand kennen würde und seine Unterschrift dann sicherlich nicht den gewünschten Effekt hätte.

Offene Ablehnung der Unions-Pläne

Dagegen kommt es zu einer offenen Ablehnung der Pläne der CDU/CSU und deren Kanzlerkandidatin Angela Merkel. Während die in der vergangenen Woche mit Schröder geführten Gespräche "sachlich und verbindlich" gewesen seien, sei Merkel lediglich "charmant und unverbindlich gewesen", sagte Transnet-Chef Norbert Hansen. Und der Verdi-Vorsitzende Frank Bsirske (Bündnis 90/Die Grünen) meinte, das Regierungsprogramm der Union sei "schädlich, kontraproduktiv und gegen die Interessen der Arbeitnehmervertreter gerichtet". Wie "neutral" der DGB ist, kann man alleine daran sehen, daß einzelne Gewerkschaftschefs, darunter auch Hansen, zuletzt bereits mit politischen Streiks drohten, sollte Merkel ihr Programm durchsetzen.

Eine Zerreißprobe droht dem DGB aber angesichts der offenen Unterstützung der Linkspartei durch führende Mitglieder. Dazu gehört insbesondere der Chef der IG-Metall, Jürgen Peters. "Von der Rente über das Steuersystem bis hin zum Tarifrecht vertritt die Linkspartei nachvollziehbare Positionen, die das politische Spektrum der Bundesrepublik ohne Zweifel bereichern", sagte Peters dem Spiegel. Er sieht in SPD, Grünen und Linkspartei "natürliche Verbündete". Auch werde ein Einzug der Linkspartei in den Bundestag dem Parlament nicht schaden.

Verdi-Funktionär Ralf Krämer, der zu den Mitbegründern der WASG gehört und auf einem aussichtsreichen Listenplatz der Linkspartei kandidiert, sagte auf einer Veranstaltung der Initiative "Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wählen links" vergangene Woche in Berlin: "Wir sind in den Gewerkschaften kein kleiner Rand, sondern eine breite, ernstzunehmende Strömung."

Zu den Unterstützern der Linkspartei im DGB zählt auch der weiterhin sehr mächtige ehemalige IG-Medien-Chef Detlef Hensche. Mit dem Einzug der Linkspartei in den Bundestag wären dort "erstmals seit langem wieder gewerkschaftliche Positionen vertreten", sagte Hensche. Die Linke müsse zu einer politischen Kraft werden, die in allen gesellschaftlichen Konflikten präsent sei.

Zu den stärksten Kritikern der gewerkschaftlichen Unterstützung der Linkspartei gehört der frühere DGB-Vorsitzende Dieter Schulte, der der Arbeitnehmerorganisation von 1994 bis 2002 vorstand. Wer die Linkspartei unterstütze, mache sich lediglich zu "nützlichen Komplizen von Altkommunisten", sagte Schulte der Bild am Sonntag. Die Gewerkschaften müßten "ihre Positionen in die regierungswilligen Parteien tragen, statt eine Gruppe von Versprengten zu unterstützen, die lediglich auf der Hinterbank des Parlaments ideologische Schlachten austragen will".

Auch Schultes Nachfolger Sommer warnt vor einer Spaltung der Gewerkschaften. "Wer immer Parteipolitik in die Gewerkschaften trägt, der provoziert die Fraktionierung und will die Organisationen der Arbeitnehmer schwächen", äußerte Sommer gegenüber dem Berliner Tagesspiegel. Zudem werde es "nie wieder ein einheitliches Vorgehen" geben, wenn die Gewerkschaften "entlang von Parteilinien streiten".

Foto: Sommer, Peters und Bsirske auf dem SPD-Parteitag: Unterstützer


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