© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 38/05 16. September 2005

Überhangmandate als notwendiges Übel
Bundestagswahl II: Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht / Doppelwertung der Stimmen nur in Ausnahmen / "Fall" Hohmann
Eike Erdel

Eine Partei, die bundesweit die meisten Zweitstimmen auf sich vereinigen konnte, muß nicht unbedingt auch die meisten Sitze im Bundestag bekommen. Gerade bei knappen Wahlausgängen spielt das sogenannte Überhangmandat eine Rolle. Es ist eine Folge der Kombination von Mehrheitswahlsystem und Verhältniswahlsystem im deutschen Wahlrecht.

Von den 598 regulären Sitzen im Deutschen Bundestag wird die Hälfte im Wege der Mehrheitswahl direkt in den 299 Wahlkreisen gewählt. Der Kandidat, der in seinem Wahlkreis die meisten Erststimmen erhält, zieht in den Bundestag ein. Die übrigen 299 Sitze werden über die Landeslisten der Parteien nach dem Grundsatz der Verhältniswahl gewählt. Daher haben die Wähler zwei Stimmen, eine "Erststimme" für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten und eine "Zweitstimme" für die Wahl einer Landesliste. Grundsätzlich entscheidet das Zweitstimmenergebnis über die Zahl der Sitze einer Partei. Von dieser Zahl, die auf jede Landesliste aufgrund des Verhältnisses der Summen der Zweitstimmen entfällt, wird die Zahl der von der Partei in den Wahlkreisen des betreffenden Landes errungenen Direktmandate abgerechnet. Erst die übrigen Sitze, die einer Partei zustehen, werden aus der Landesliste in der dort festgelegten Reihenfolge besetzt.

Doppelwertung nur bei Überhangmandaten

Ist die Zahl der Direktmandate einer Partei in einem Bundesland größer als die Zahl der ihr aufgrund der Verhältniswahl zustehenden Sitze, können nicht alle Direktmandate auf das Listenkontingent einer Partei angerechnet werden.

Diese Partei erhält dann in Höhe der Unterschiedszahl zusätzlich sogenannte Überhangmandate. Anders als in den Wahlgesetzen der meisten Bundesländer sieht das Bundeswahlgesetz keine Ausgleichsmandate für die durch die Überhangmandate benachteiligten Parteien vor. Scheidet ein direkt gewählter Wahlkreisabgeordneter aus dem Deutschen Bundestag aus, dessen Partei in dem betreffenden Bundesland Überhangmandate errungen hat, so darf der ausgeschiedene Wahlkreisabgeordnete nicht durch einen Listenkandidat ersetzt werden. Theoretisch kann sich so die Zahl der Mandate wieder auf die Höhe der durch die Landesliste gewonnen Mandate reduzieren.

Die Vorschaltung der Mehrheitswahl soll vor allem die Repräsentation aller Regionen im Bundestag gewährleisten. Die dadurch möglicherweise entstehenden Überhangmandate werden als notwendiges Übel hingenommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat das Überhangmandat aus diesem Grund auch trotz möglicher Verzerrung des Wahlergebnisses für verfassungsgemäß erachtet. In Wirklichkeit hat der Wähler also nicht zwei Stimmen, mit denen er auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag Einfluß nehmen kann. So ist auch die Regelung begründet, daß die Zweitstimmen von Wählern nicht berücksichtigt werden, die erfolgreich einen unabhängigen Wahlkreiskandidaten in den Bundestag gewählt haben. Hier würden diese Wähler nämlich tatsächlich mit zwei Stimmen Einfluß auf die Sitzverteilung im Bundestag nehmen. Neben der erfolgreichen Stimmenabgabe für den Direktkandidaten würde auch die Zweitstimme für irgendeine Landesliste gewertet werden. Eine solche Doppelwertung soll aber nur ausnahmsweise bei den Überhangmandaten hingenommen werden.

Diese Regelung wurde erst jüngst durch die Direktkandidatur des aus der CDU ausgeschlossenen Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann im Wahlkreis Fulda ins öffentliche Bewußtsein gebracht (siehe Artikel auf dieser Seite). Hohmann führt seinen Wahlkampf nach dem Motto "Erststimme für Martin Hohmann, Zweitstimme wie bisher". Ist er aber erfolgreich, dann fallen die von seinen Wählern für die CDU abgegebenen Zweistimmen unter den Tisch.


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