© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 37/05 09. September 2005

Zeitschriftenkritik: Wirtschaft & Wissenschaft
Fremdeln in Harvard
Werner Olles

Herausgegeben vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft erscheint die Zeitschrift Wirtschaft & Wissenschaft vierteljährlich im 13. Jahrgang mit einer Auflage von 7.500 Exemplaren. Schwerpunktthema der aktuellen Ausgabe ist der Wissenschaftsstandort Deutschland. Eine vom Stifterverband organisierte Tagung nahm nicht nur die Abwanderung und Flucht exzellenter Forscher "vor verkrusteten Strukturen ins gelobte Ausland" unter die Lupe - von "Kahlschlag" ist inzwischen sogar die Rede, und im medizinisch-pharmazeutischen Bereich wird bereits der nahe Tod zahlreicher Patienten vorhergesagt -, sondern untersuchte auch die nicht geringe Zahl von Rückkehrern. Einerseits sei beispielsweise der amerikanische Wissenschaftsbetrieb für deutsche Nachwuchsforscher nach wie vor sehr attraktiv, andererseits sagten die Zahlen über deutsche Wissenschaftler in den USA noch nichts darüber aus, ob diese auf Dauer für Deutschland verloren sind.

Ein entscheidender Pluspunkt des amerikanischen Systems sei die Unabhängigkeit, hinzu kämen flache Hierarchien, ein ungezwungener Umgangston und der absolute Vorrang des Leistungssystems vor der häufig beklagten Beziehungswirtschaft an deutschen Universitäten. Dennoch gehe der Zuzug von Wissenschaftlern und Studenten in die USA langsam zurück. Dazu trage unter anderem das gesunkene Ansehen der USA vor allem in Deutschland bei, aber auch die veränderte Visa-Vergabe seit dem 11. September 2001 und das "Fremdeln" vieler Rückkehrwilliger in einer Kultur, in der man sich per Fingerabdruck auszuweisen hat. Beklagt wird ebenfalls der Mangel an gesellschaftlicher Liberalität und die "Brutalität des amerikanischen Systems": "Wenn etwas mal nicht klappt, ist das Labor eben zu." Als positiv werden unter anderem das hervorragende wissenschaftliche Umfeld und die frühe Möglichkeit, unabhängig zu forschen, beschrieben, während man hierzulande immer noch eher "durch fleißiges Vasallentum als durch kreatives Arbeiten" Karriere mache.

Ein Gastbeitrag von Peter von Matt befaßt sich mit dem Thema "Der Chef in der Krise" und analysiert die "Inszenierung des Unternehmers in der Literatur". Während zum Beispiel Heinrich Heine, als Sohn eines verarmten Bankiers mit der Finanzwelt durchaus vertraut, dem Bankier James Rothschild mit einer "Mischung aus Faszination und Entsetzen" begegnete, und bei Gottfried Keller der freie Unternehmer im schlimmsten denkbaren Fall "als ein sogenannter Lump stirbt", inszeniert die überwiegende Mehrzahl der Autoren die Unternehmer prinzipiell nicht im Glanze ihres Gelingens, sondern in der Krise, im Scheitern, im Untergang.

Allerdings gelte dies vor allem für die deutsche Literatur. Balzac sei hingegen geradezu besessen vom finanziellen Erfolg, vom Geld und Gelderwerb und von allen Mitteln des Gewinnens und Besitzens. In Deutschland überwiege hingegen die "spöttische Ironie dem neuen Reichtum gegenüber", etwa bei Fontane ("Frau Jenny Treibel"), die "Abrechnung mit den Ausbeutern" bei Gerhart Hauptmann ("Die Weber") oder die Schilderung des Verfalls bei Thomas Mann ("Die Buddenbrooks"). 

Anschrift: Stifterverband, Barkhovenallee 1, 45239 Essen, Tel. 02 01 / 84 01-0. Internet: www.stifterverband.de 


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