© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 36/05 02. September 2005

Keine Gnade für Lobbyisten
Steuerpolitik: Das Modell von Paul Kirchhof ist sachlich eine realistische Alternative, politisch aber schwer durchsetzbar
Klaus Peter Krause

Paul Kirchhof will den deutschen Steuerdschungel lichten. Das wollen andere ausgewiesene Fachleute auch. Aber seit Unions-Kanzlerkandidatin Angela Merkel ihn Mitte August zum Wahlkampf als Mann für Haushalt und Finanzen in ihr "Kompetenz-Team" geholt hat, ist er in der steuerpolitischen Diskussion mit seinen Vorstellungen zur Reform der Einkommensbesteuerung Hahn im Korb und medial gleichsam allgegenwärtig.

Denn gemessen am Bestehenden sind seine Vorstellungen radikal. Ihr Kern: alle Ausnahmeregelungen mit ihren Absetzungsmöglichkeiten, die das tatsächlich zu versteuernde Einkommen vermindern, streichen und statt dessen den Höchststeuersatz einheitlich für alle und für jede Art von Einkommen auf 25 Prozent senken.

Das ist sinnvoll, weil zu viele dieser Ausnahmen eine Folge der bisher hohen Steuersätze sind und weil der Bürger nur nach seiner wirklichen Leistungsfähigkeit besteuert werden soll (und darf). Fallen sollen auch die von Kirchhof gezählten 418 Ausnahmen. Nicht alle davon sind Privilegien, Subventionen oder unbeabsichtigte Schlupflöcher, sondern auch absichtsvolle Maßnahmen, um gerechterweise besondere Lebensumstände (darunter "außergewöhnliche Belastungen") zu berücksichtigen oder um Fehler auszubügeln, die im überaus kompliziert gewordenen Steuerrecht übersehen worden waren.

Doch 8.000 Euro je Person und Jahr will Kirchhof unbesteuert lassen. Bei einer vierköpfigen Familie (Ehepaar mit zwei Kindern) wären das jährlich steuerfreie 32.000 Euro. Hinzu kommt noch als eine allgemeine Kostenpauschale ein weiterer Freibetrag von jährlich 2.000 Euro. Die vierköpfige Familie müßte also erst denjenigen Betrag ihres Einkommens der Steuer unterwerfen, der 34.000 Euro übersteigt. Davon sollen die ersten 5.000 Euro mit 15 Prozent besteuert werden, die nächsten 5.000 Euro mit 20 Prozent und alle weiteren Beträge mit 25 Prozent. Bisher nimmt der Steuersatz mit steigendem Einkommen zu (progressiver Tarif). Gegenwärtig beginnt der Tarif mit 15 Prozent (Eingangssteuersatz) und endet mit 42 (Höchststeuersatz). 1998 wurden die Einkommen noch mit 25,9 bis 53 Prozent besteuert. Seitdem sind die Steuersätze schrittweise gesenkt worden.

Doch nicht alle Bürger werden mit Kirchhofs Einfachsteuer auf der Gewinnerseite landen und weniger Einkommensteuer zahlen müssen als bisher. Zu den "Verlierern" gehören jene Vielverdiener und Reichen, die bisher mit dem Jonglieren von vielen Absetzungsmöglichkeiten den an sich höheren Steuerzahlungen auszuweichen verstehen. Aber auch Ledige und Kinderlose müssen sich auf eine höhere Belastung einstellen. Gestärkt werden dagegen die traditionelle Familie, Kindersegen und mittlere Einkommen. Wer Kinder hat, auch als Alleinerziehender, steht sich steuerlich als Normalverdiener deutlich besser. Denn Kinderreichtum steuerlich nicht mehr zu benachteiligen, ist für Kirchhof ein wichtiges Ziel seiner Reform. Deren natürliche Gegner sind daher Sozialisten und Linke, die den herkömmlichen Familienverband weiter auflösen wollen, weil er gegen ihre Politik zu immun ist.

Ebendiese Gegner ruft Kirchhofs Konzept prompt auf den Plan. Der einheitliche Steuersatz von 25 Prozent für jede Einkommensart, für jedes zu versteuernde Einkommen, das über 10.000 Euro hinausgeht, und für jedermann, unabhängig davon, ob er nur einige tausend oder einige Millionen Euro zu versteuern hat, ist nicht ihre Welt. Sie entrüsten sich wie jüngst der Grünen-Vorsitzende Reinhard Bütikofer, mit dem gleichen Steuersatz für alle werde das Prinzip der Solidarität aus dem Steuerrecht vertrieben. Sie versuchen es als unsozial hinzustellen, wenn der Millionär künftig nicht mehr mit einem höheren Satz besteuert würde.

Aber damit schüren sie, eingehüllt in den schönen Schein des Sozialgewands, einen Neidkomplex und verdrängen mit ihm, daß, wer eine Million Euro zu versteuern hat, an den Fiskus immerhin 250.000 Euro abführen muß und damit 25mal so viel wie jemand mit einem zu versteuernden Einkommen von beispielsweise 40.000 Euro. Sie verkennen erst recht, daß eine maßvolle und einfache Einkommensteuer wichtige Anreize gerade auch für Betuchte schafft, nämlich dafür, eher ein- als auszuwandern, auch in Deutschland zu investieren statt nur woanders, auf diese Weise hierzulande für Arbeit und Arbeitsplätze zu sorgen sowie den Beschäftigten Einkommen zu verschaffen, die dem Fiskus wiederum zusätzliche Steuereinnahmen bescheren. Selbst Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulff ließ sich zu der törichten Bemerkung verleiten, ein niedriger und gleicher Steuersatz für alle widerspreche dem "deutschen Gerechtigkeitsgefühl". Er maßt sich damit an, für alle Deutschen zu sprechen und zu wissen, sie alle hätten dieses gleiche Gefühl. Und indem er das tut, offenbart er, wie auch er sich von den linksideologischen, tabuisierten Sprüchen des politischen Gegners hat vereinnahmen lassen und sogar schon zu deren Nachbeter geworden ist, weil er meint, das Tabu nicht brechen zu dürfen. Dabei übersieht er auch dies: Was als Gerechtigkeit nur gefühlt wird, muß noch lange keine Gerechtigkeit sein. Gerade dieses linksideologische "Gerechtigkeitsgefühl" hat zu den Schwierigkeiten der deutschen Volkswirtschaft erheblich beigetragen.

Gerecht ist dagegen, was Investitionen und Wirtschaftswachstum nicht behindert, was Beschäftigung sichert und zu Einkommen führt, was individuelle Freiheitsräume erweitert und beläßt, was Eigeninitiative und Leistungsbereitschaft wiedererweckt. Kirchhofs Konzept würde dies leisten. Doch daran, daß sich Politiker wie die CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch (Hessen) und Günther Oettinger (Baden-Württemberg) ebenfalls als Kritiker der Kirchhof'schen Einfach- und Einheitssteuer gebärden, zeigt sich, wie schwer es sein wird, ein solches Konzept sogar im bürgerlichen Lager durchzusetzen. Aber auch unter Wissenschaftlern des Finanz- und Steuerwesens ist Kirchhofs Konzept durchaus umstritten. Das zeigt sich auch daran, daß andere ernst zu nehmende Reformkonzepte ebenfalls ausgearbeitet vorliegen oder gerade vollendet werden. Doch Kirchhofs Lichtgestalt und Merkels Coup, ihn für sich gewonnen zu haben, hat diese anderen in den medialen Hintergrund gedrängt.

Kirchhofs Konzept brächte keinen Systemwechsel, sondern nur eine drastische Vereinfachung der Besteuerung im herrschenden System. Immerhin. Doch sein Problem: CDU und CSU haben zur Wahl ein Steuerprogramm vorgelegt, das kein großer Wurf, sondern nur Stückwerk ist und mit seinem Konzept wenig gemein hat. Die Union davon abzubringen, wird ihm wohl schwerlich gelingen. Merkel hat klargestellt, daß zunächst das für 2005 bis 2009 verkündete Regierungsprogramm gilt und daß sie an Kirchhof seine "Vorstellungskraft" schätzt. Die Vermutung, daß Kirchhof mit dieser Kraft nur als "Knaller" im Wahlkampf dient, ist nicht gerade abwegig. Seine Berufung soll beim fiskus-gepeinigten Wähler Erwartungen wecken, die die Union entweder gar nicht oder allenfalls ein bißchen erfüllen will.

Scheitern wird Kirchhof nicht daran, daß sein Konzept zu einfach ist oder nicht praktikabel oder wirklich ungerecht ("unsozial"), sondern allein an politisch anderen Vorstellungswelten und an politischen Rattenfängern. Darin liegt die Gefahr für Kirchhofs Reformkonzept. Es ist zwar nicht das bestmögliche, aber immerhin besser als das derzeit bestehende Einkommensteuerdickicht. So wird das Konzept wohl bleiben, was es noch ist: ein schöner Traum.

 

Dr. Klaus Peter Krause war bis Ende 2001 verantwortlich für Wirtschaftsberichterstattung der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und bis Ende 2003 Geschäftsführer der FAZIT-Stiftung.


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