© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Deutsche Mauerschicksale
Dieses Jahr wurde der Limes samt seinen Rekonstruktionen in die Unesco-Liste der Welterbe-Stätten aufgenommen
Ulrich March

Um die Mitte des ersten vorchristlichen Jahrhunderts erreichen Cäsars Legionen den Rhein, wenige Jahrzehnte später erobern römische Truppen die Alpen und das Alpenvorland bis zur Donau. An beiden Strömen werden zunächst keine Befestigungsanlagen errichtet, da die Römer weitergehende Pläne haben. Die sehr lange Grenze von der Rheinmündung bis zur mittleren Donau soll erheblich verkürzt werden, indem man bis zur Elbe-Sudeten-Linie vordringt.

Die archäologischen Forschungen gerade der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, daß man dieses Projekt entschlossen in Angriff genommen hat: Kurz nach Christi Geburt steht vor allem das heutige Norddeutschland kurz vor der Einbeziehung in das Imperium Romanum. Im Herbst des Jahres 9 macht die Schlacht im Teutoburger Wald, bei der fast 20.000 Römer umkommen, diesen Plänen ein Ende, notgedrungen richtet man sich jetzt doch an der Rhein-Donau-Grenze ein. Militärisch befähigte Kaiser wie Vespasian und Trajan erkennen jedoch bald, daß diese Grenze neben ihrer Länge noch weitere erhebliche Nachteile für das Römische Reich hat: Oberrhein und obere Donau bilden einen weit in das römische Gebiet hineinragenden Winkel, und das Neckartal, der Oberrheingraben und das Bodenseegebiet stellen ideale Aufmarschräume für potentielle Feinde dar.

Weniger Sperranlage als Fernmeldesystem

Man entschließt sich daher, das gesamte heutige Südwestdeutschland in das Reich einzugliedern und eine vom Mittelrhein bis zur mittleren Donau reichende neue Landesgrenze zu errichten. An die Stelle der von beiden Strömen gebildeten Katheten soll gleichsam eine Hypothenuse treten. Seit der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts haben die Römer dieses Projekt realisiert, doch sollten noch über hundert Jahre vergehen, bevor der endgültige Ausbauzustand erreicht ist: eine von Rheinbrohl (nördlich Koblenz) bis Hienheim an der Donau (westlich Kehlheim) führende befestigte Grenze, die zwar - anders, als die ältere Geschichtswissenschaft annahm - keinen Festungscharakter im engeren militärischen Sinn hat, gleichwohl aber fest in das römische Grenzverteidigungssystem einbezogen ist.

Zunächst schlägt man eine Schneise durch das zumeist von dichtem Wald bedeckte Gebiet, auf der sich die Patrouillen bewegen, die zur Transitüberwachung und zur Personenkontrolle eingesetzt werden. Als Stützpunkte werden in unterschiedlichen Abständen hölzerne Wachtürme errichtet, von denen aus die Grenze und ihre Umgebung beobachtet werden können. In der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts wird die gesamte Grenze durch einen Palisadenzaun gesichert, der später im westlichen Limesabschnitt durch Wall und Graben ergänzt wird, während man im heutigen Bayern und im westlichen Baden-Württemberg eine durchgehende, zweieinhalb bis drei Meter hohe Steinmauer errichtet, deren Reste heute noch über weite Strecken im Gelände zu erkennen sind.

Die höchste Ausbaustufe der gesamten Anlage wird gegen Ende des zweiten Jahrhunderts erreicht, als die Holztürme durch Steintürme ersetzt werden, die den Grenzsoldaten eine größere Sichtweite bieten. Sie sind dreistöckig, wobei das fensterlose Erdgeschoß ein Eindringen kleinerer Gruppen erschwert, denn die Leiter, mit deren Hilfe man die oberen Geschosse erreicht, wird nach Gebrauch stets hochgezogen. Die jeweils für eine Zeit abgeordnete fünf- bis sechsköpfige Turmbesatzung hält sich größtenteils im ersten Stockwerk auf, das als Ruheraum gestaltet ist, während der eigentliche Beobachtungsdienst im zweiten Stock wahrgenommen wird, der zu diesem Zweck mit einer außen herumlaufenden Galerie versehen ist.

Diese Limestürme, deren Fundamente meistens auch heute noch vorhanden sind, können naturgemäß einem ernsthaften feindlichen Angriff nicht standhalten, ihre militärische Bedeutung ist nicht fortifikatorischer, sondern nachrichtentechnischer Art. Sie sind so plaziert, daß die Besatzungen mit denen der Nachbartürme optische und akustische Signale austauschen können. Auf diese Weise lassen sich Nachrichten auch über große Distanzen schnell weitergeben. Bei Grenzverletzungen werden sofort die im Hinterland gelegenen Kastelle alarmiert, denen die eigentliche militärische Grenzsicherung obliegt. In jedem Kastell ist eine - zumeist etwa fünfhundertköpfige - Auxiliareinheit stationiert, nichtrömische Truppen also, die sich freiwillig für den 25 Jahre dauernden Heeresdienst gemeldet haben, nach dessen Ableistung sie in der Regel ein Landgut und das römische Bürgerrecht erhalten. Es handelt sich um recht bewegliche Verbände, häufig um Reitertruppen, bestens geeignet für die Aufgabe der Grenzsicherung.

Wird eine Grenzverletzung gemeldet, riegeln die Soldaten die Einbruchstelle sofort ab, so daß es kaum möglich ist, Vieh oder anderes Beutegut über den mit Palisaden bewehrten Wall oder über die Grenzmauer nach außerhalb zu bringen. Wenn größere Verbände angreifen, müssen entsprechend viele Kastelle kooperieren; im äußersten Notfall greifen zusätzlich römische Truppen der nächstgelegenen Legionsstandorte (Mainz, Straßburg, Augst bei Basel, Regensburg) ein.

Bis weit in das dritte Jahrhundert hinein hat das Limesgebiet jedoch zumeist friedliche Zeiten erlebt. Nahezu zweihundert Jahre lang vollzieht sich gerade über diesen Abschnitt der Reichsgrenze hinweg, im Vorfeld der großen Römerstädte an Rhein und Donau, ein reger Handels- und Kulturaustausch mit dem freien Germanien, der das spätere Zusammenwachsen der germanischen und romanischen Völker zum christlichen Abendland zweifellos erleichtert hat.

Der germanisch-römische Limes ist nicht nur das größte, sondern - was die baulich-organisatorische Gesamtleistung angeht - auch eines der beeindruckendsten historischen Denkmäler Deutschlands. Als die endgültige Ausbaustufe erreicht ist, zieht er sich über nahezu 550 Kilometer vom Rhein über den Westerwald und Taunus zum Main und führt über das Jagst-, Köcher- und Altmühltal zur Donau. Der gesamte Streckenverlauf ist entweder durch Wall und Graben oder durch die später so genannte "Teufelsmauer" gesichert, ferner durch etwa neunhundert Steintürme. Letzten Monat wurde der Limes samt seiner Rekonstruktionen in die Unesco-Liste der Weltkulturerbe-Stätten aufgenommen.

Etwa hundert Jahre wird die Limes-Grenze gehalten

Im römischen Hinterland, zumeist etwa fünf bis fünfzehn Kilometer vom Limes entfernt, gibt es damals etwa 120 Kastelle, deren Truppen zur Grenzverteidigung und für den Kontrolldienst zur Verfügung stehen, insgesamt etwa 55.000 Mann. Da die römischen Truppen verhältnismäßig gut verdienten, müssen allein die Personalkosten enorm gewesen sein. Hinzu kommen die Bau- und Instandhaltungskosten für Limes, Kastelle, Straßen, Rasthäuser und Militärbäder.

Die römische Verteidigungsorganisation am Limes hat wie alle Grenzverteidigungssysteme der Geschichte, etwa die Chinesische Mauer, die Maginotlinie oder die innerdeutsche Grenze von 1961 bis 1989, ihre Aufgabe letztlich nicht erfüllt. Während der allgemeinen Reichskrise des dritten Jahrhunderts überrennen größere germanische Verbände, die nach neuestem Forschungsstand wohl erst von da an allmählich zum Stamm der Alemannen zusammenwachsen, das gesamte Gebiet zwischen Donau, Rhein und Limes, so daß sich die Römer wieder auf die ungünstige Ausgangslage des ersten Jahrhunderts zurückgeworfen sehen. Die neue Grenze, die entlang von Donau, Iller und Bodensee verläuft, kann allerdings im wesentlichen bis zum Ende des weströmischen Reiches behauptet werden. Der Limes dagegen ist seit Mitte des dritten Jahrhunderts nur mehr Erinnerung - und beeindruckendes Symbol der Phase germanisch-romanischen Gegen- und Nebeneinanders.

Foto: Rekonstruierter römischer Wachturm bei Grab im Rems-Murr-Kreis: Enorme Personalkosten 550 Kilometer langer Limes: Hat seine Aufgabe letztlich nicht erfüllt


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