© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Auf den Zinnen der Partei
Künstler in Wahlkämpfen: Wo es um nichts geht, ist jedes gediegene Wort überflüssig
Günter Zehm

Zu den Spezialitäten des gegenwärtigen Wahlkampfs (den man spontan am liebsten in Gänsefüßchen setzen möchte: "Wahlkampf" = Wahlkrampf) gehört das Schweigen der Künstler, der Roman- und Gedichteschreiber, der Essayisten und Schauspieler. Die zwei Ausnahmen, die bekanntgeworden sind, bestätigen das tiefe Schweigen nur: erstens die von Klaus Staeck und Günter Grass gestartete "Solidaritätsaktion" für die rot-grüne Koalition, zweitens der Aufruf von Christoph Buch und Klaus Harpprecht gegen die neue Linkspartei, also die PDS plus WASG.

Die "Solidaritätsaktion" von Staeck/Grass ist keine Künstlerbewegung, sondern eine Art Politfolklore, die hierzulande seit Jahrzehnten zu jedem Wahlkampf oder "Wahlkampf" dazugehört wie Fähnchenschwenken und Luftballons und an die man sich gewöhnt hat, ein Routinereflex ohne Originalität und Leidenschaft. Wer im Internet nach Reaktionen auf Staeck/Grass sucht, stößt lediglich auf ein "Diskussionsforum" des SPD-Ortsvereins Hamburg-Billstedt, wo es durchgehend begeisterte Zustimmung gibt.

Die Brandrede von Buch/Harpprecht fällt immerhin dadurch auf, daß hier nicht zur Wahl, sondern zur Nichtwahl aufgerufen wird, zur Nichtwahl der Linkspartei. Es wird gesagt, daß die Linkspartei gar nicht links sei, sondern rechts, nämlich "populistisch", "fremdenfeindlich", DDR-verharzt usw. Genauso könnte es auch Edmund Stoiber formuliert haben. Auch Buch und Harpprecht liefern nicht Künstlersprache, sondern banalste Funktionärssprache, die echolos im Wald verhallt.

Aber war es denn je anders mit Künstlereinsprachen bei Wahlkämpfen? Auch wenn es um wirkliche Alternativen ging und die Einsprachen gehaltvoller ausfielen, blieb ihr Echo stets minimal. Künstler haben nie etwas entschieden in der Demokratie. Das einzige, was sie allenfalls erreichten, war Mehrung des persönlichen Ruhms, Befriedigung ihrer Artisten-Eitelkeit. Die Sonne der Macht beschien sie, vorausgesetzt daß sie auf das richtige Pferd gesetzt hatten und am Ende zu den Siegern gehörten.

An sich ist die Frage, ob Künstler sich in Wahlkämpfen "engagieren" sollten oder nicht, in Deutschland längst entschieden, und zwar negativ. Georg Herwegh, ein dichtelnder Extrem-Liberaler und Groß-Revoluzzer im neunzehnten Jahrhundert, proklamierte damals, der Platz des modernen Künstlers sei "auf den Zinnen der Partei" und nirgendwo anders. Die Reaktionen darauf, von Heine bis Freiligrath, von Marx bis Nietzsche, waren durch die Bank ablehnend, ja, höhnisch und sarkastisch.

Friedrich Nietzsche brachte es auf den Begriff. "Die größten Feinde geistiger Unabhängigkeit", schrieb er in "Menschliches, Allzumenschliches", "sind die Habenichtse, die Reichen und die Parteien." Und bei Herwegh traten diese drei zu einem wahren Höllentrio zusammen, umgarnten den armen Dichter so gründlich, daß ihm buchstäblich die poetische Puste ausging und er alsbald in die berühmte Schaffenskrise geriet.

Durch die Heirat mit der Tochter eines Berliner Bankiers schwer reich geworden, ernannte er sich - wohl eben deshalb - zum "Sprecher der Armen und Entrechteten", und er glaubte, dieses Sprecheramt am besten ausüben zu können, indem er "in die Politik ging" und sich als Parolenverfasser linker Parteien betätigte. Dadurch machte er sich sehenden Auges einen ganzen Künstlerkopf kürzer. Denn zum Künstlertum gehört, daß man sich gleichsam automatisch "aus jeder Partei herausdenkt" (Nietzsche). Wer das ignoriert, wird vielleicht reich und berühmt, doch als Künstler dankt er ab.

Die Geistesgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts hat dafür die gräßlichsten Beispiele geliefert; Gerd Koenen hat das in seinem Buch über "Die Großen Gesänge" (1987/1991) penibel aufgezeichnet. Je schlimmer die Terrorherrschaft, um so glühender und begeisterter die poetischen und bildnerischen Verklärungen des Großtyrannen, und zwar keineswegs nur aus der Feder oder dem Meißel speichelleckerischer Kleinmeister. Es waren vielmehr die größten Namen, die die monströsesten Gesänge ablieferten und damit schwere und dauernde Zweifel an der denkerischen und moralischen Kompetenz von Künstlertum überhaupt weckten.

Etwas von solchen Zweifeln fällt unabweisbar auch auf die diversen "Engagements" von Künstlern in demokratischen Wahlkämpfen. Der jeweilige Politikbetrieb färbt notwendig auf die Sprache der engagierten Künstler ab - und mindert sie beträchtlich. Ist es im Falle Stalins der Gestus der irren Anbetung, der in den Gesängen der Neruda, Brecht oder Hermlin so abstößt, so im Falle SPD/Grüne, Schröder/Fischer der Habitus der einverständigen Kungelns und Verschleimens, der die Wahlreden der Grass und Rühmkorf prägt. Scheußlich bleibt beides, anbeten wie verschleimen.

"Schmerzhafte Reformen", so lesen wir, müßten nun einmal sein, doch gehe es um einen "Ausgleich zwischen Ökonomie und Ökologie", und dafür sei man bei dem "weltoffenen" Gespann Schröder/Fischer gut aufgehoben. Auch sollte man bitte nicht übersehen, daß Schröder/Fischer allzeit "große Aufmerksamkeit und Anerkennung von Künstlern und Intellektuellen" gezeigt hätten. Braucht man für dergleichen wirklich die Stimme von Nobelpreisträgern und Großlyrikern? Genügt da nicht tatsächlich voll die Geräuschkulisse des SPD-Denkforums von Hamburg-Billstedt?

Daß das Gros der Künstler (wie der Wissenschaftler) im gegenwärtigen "Wahlkampf" schweigt, ist zweifellos ein gutes Zeichen. Die derzeit dominierenden Kräfte und die ihnen verbündeten Medien haben die Dinge so arrangiert, daß sie in jedem Falle noch eine Weile unter sich bleiben können und der Austausch immergleicher Phrasen jeden Ansatz von realer Politik unterbindet. Wo es um nichts geht, ist jedes gediegene Wort überflüssig. Es würde sich nur unnötigerweise dem Hohn und der Ignoranz der Platzhalter aussetzen.

Viele Arten von Schweigen sind möglich. Wer genau hinhört, mag im gegenwärtigen, ja nicht nur auf den aktuellen "Wahlkampf" beschränkten, politischen Schweigen der Geisteseliten einen drohenden Unterton vernehmen. Die herrschenden Kräfte haben ihren Pfusch und ihr freches Agieren gegen das eigene Land zu weit getrieben. Zorn akkumuliert sich, der nach ganz anderen Worten verlangt, als sie in Wahlkämpfen geäußert werden können.

Nicht jeder Wahltag ist gleich ein Zahltag, dem Sprichwort zum Trotz. Das Hin und Her der Wahlreden verschleiert eher, wieviel gezahlt werden muß und wer am Ende zahlt. Es könnte auch einmal passieren, daß zuerst diejenigen zahlen müssen, die die wesenlosesten, dümmsten Wahlreden gehalten haben, einerlei ob sie dabei von künstlerischen Solidaritätsaktionen beraten waren oder nicht. 

Foto: Günter Grass, Gerhard Schröder: "Die größten Feinde geistiger Unabhängigkeit sind die Habenichtse, die Reichen und die Parteien" (Nietzsche)


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