© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 35/05 26. August 2005

Mit Steinen und Cocktails
Wahlkampf: Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Linken häufen sich / Sicherheitsexperten erwarten weitere Zwischenfälle
Ekkehard Schultz

Zerrissene Plakate, beschädigte Werbestände, körperliche Angriffe auf Kandidaten und Standpersonal - die Liste derartiger Begleiterscheinungen wurde bereits im Umfeld aller Bundestagswahlen seit Beginn der neunziger Jahren immer länger. Nun befürchten Sicherheitsexperten von Bund und Ländern, daß vor dem auf den 18. September angesetzten Votum durch die besonders starke Polarisierung mit einer weiteren Verstärkung von Gewaltexzessen - insbesondere zwischen Anhängern linker und rechter Organisationen - gerechnet werden muß.

Bereits Anfang August überfielen acht vermummte sogenannte "Autonome" am Elsterwerdaer Platz in Berlin-Marzahn zwei Wahlhelfer der NPD und verletzten sie schwer. Der Überfall war allen Anzeichen nach nicht spontan, sondern von längerer Hand vorbereitet und organisiert worden: Die unschwer als Angehörige der linksextremen Szene erkennbaren, mit Skimasken vermummten Angreifer kamen aus unterschiedlichen Richtungen und prügelten mit Schlagstöcken, Holzlatten und Knüppeln auf drei NPD-Anhänger ein. Eines der Opfer erlitt massive Kopfverletzungen, ein zweites Knochenbrüche, der dritten Person gelang die Flucht.

Die Polizei vermutet, daß diese Gewalttat wiederum eine Reaktion auf Überfälle der rechtsextremen Szene in Berlin sind. Am letzten Juli-Wochenende war ein Infostand der linksextremen Antifa am Boxhagener Platz im Stadtteil Friedrichshain attackiert worden. Mitte des Monats hatten Angehörige einer rechten Kameradschaft im Stadtteil Adlershof zwei Autonome schwer verletzt. Im Internet hatten die Antifa und diverse andere linksextreme Gruppierungen bereits angekündigt, "jeder Form" von "Nazi-Wahlkampf" massive Gegenwehr entgegenzusetzen. Sie riefen dazu auf, sämtliche Werbeveranstaltungen der NPD, aber auch der DVU und der Republikaner mit Gegenaktionen zu beantwortet. Grundsätzlich sollen - so im Original - "NPD-Plakate eingesammelt, Kundgebungen blockiert und Nazi-Material von Infotischen in blauen Müllsäcken entsorgt" werden.

Kundgebung endet im Krankenhaus

Als besonderen "Anreiz" wird linksextremen Aktivisten versprochen, daß sie auf sogenannten "Antifa-Partys" "für jedes mitgebrachte NPD-Plakat" "einen Cocktail gratis" erhalten. In mehreren Aufrufen heißt es, "jedes Mittel" sei erlaubt, um "Nazis zu vertreiben".

Die Folgen solcher Aufrufe wurden unter anderem auf einer NPD-Demonstration in Chemnitz am vergangenen Dientag deutlich. Bei der Veranstaltung wurde der Pressesprecher der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Holger Szymanski, von einem Stein über dem Auge getroffen. Der Stein war aus einer Gruppe von Gegendemonstranten auf den NPD-Politiker geworfen worden war. Szymanski mußte zur medizinischen Notversorgung in ein Chemnitzer Krankenhauses eingeliefert werden. Zu vergleichbaren Vorkommnissen war es bereits zuvor auf Wahlkundgebungen in Kaiserslautern und München gekommen.

Zum Zwecke der Befriedigung des Wahlkampfes und der Eindämmung der bedenklich um sich greifenden Gewalt wurden in den vergangenen Wochen in mehreren Wahlkreisen sogenannte "Fairneßabkommen" zwischen verschiedenen Parteien auf kommunaler Ebene geschlossen.

So heißt es etwa in einem dieser Abkommen, welches am 4. August 2005 für den sächsischen Wahlkreis 160/161 (Dresden) unterzeichnet wurde: "Organisierte Störungen von Wahlveranstaltungen konkurrierender Parteien haben zu unterbleiben. Dies gilt auch für die Beteiligung an Störungen durch Dritte." Ferner werden darin die Mitglieder der Parteien aufgefordert, "Plakate anderer Parteien nicht zu entfernen oder zu beschädigen", und sogar die "gegenseitige Unterstützung" "bei der strafrechtlichen oder zivilrechtlichen Verfolgung derartiger Delikte" angekündigt.

Allerdings hat die Vereinbarung den entscheidenden Schönheitsfehler, daß sie nur von Vertretern der "im Bundestag vertretenen Parteien" unterzeichnet worden ist. Vergleichbare Sanktionen und Maßnahmen, mit denen auch Verstöße durch und gegen andere Parteien und Organisationen in gleicher Art und Weise geahndet werden sollen, sind im "Fairneßabkommen" nicht vorgesehen.


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