© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

"World of Warcraft": Mehrere Millionen Computerspieler weltweit
Durchbruch der virtuellen Welt
Frank Liebermann

Richard Kunz rennt durch das Land Lordaeron, nimmt seinen Speer und schleudert ihn auf die Gruftbestie. Obwohl sie schwer verletzt ist, kämpft sie weiter. Mit seinem Schwert schlägt er noch mehrere Male zu, bis der Drachen tot zu Boden fällt. Nachdem der Spieler seine Verletzungen mit einem Manatrank kuriert hat, zieht er neuen Abenteuern entgegen. Richard Kunz ist Informatiker von Beruf und liebt das Online-Rollenspiel "World of Warcraft". Dafür bezahlt er rund zwölf Euro im Monat. Richard kämpft jede freie Minute in seiner virtuellen Welt, in der er ein mutiger Krieger ist.

Als mutiger Krieger, Dauergast in der virtuellen Welt

Rollenspiele gab es schon lange vor dem Computer. Der griechische Dichter Homer erwähnte in der Odyssee ein Brettspiel namens "Petteia", welches die Freier beim Warten auf die Damen spielten. Die heutigen Rollen-Com-puterspiele stammen von Brettspielen ab. Diese rollenbasierten Brettspiele haben im wesentlichen zwei Komponenten. Die erste Komponente ist ein Regelbuch, welches genau vorschreibt, was ein Spieler tun kann und was nicht. Die zweite Komponente sind mathematische Formeln und Algorithmen, die bestimmen, wie ein Kampf ausgeht, wohin ein Spieler gehen kann und wie er auf andere Mitspieler reagiert.

Bei den brettbasierten Spielen müssen die Spieler rechnen und nachschlagen, manchmal auch heftig miteinander diskutieren, da sich nicht alle Situationen eindeutig klären ließen. Die Fortbewegung auf dem Brett wird durch würfelähnliche Gebilde geregelt, die zum Teil zwanzig bis dreißig Seiten haben, und so den weiteren Verlauf des Spiels bestimmen. Die Gemeinde der Brettspieler ist in den letzten Jahren gewachsen, da viele die direkte Interaktion und die Geselligkeit schätzen und dem Computer vorziehen.

Die Computerversionen kamen in den achtziger Jahren auf. Obwohl die Adaptionen der Brettspiele einfach und noch textbasiert waren, entwickelte sich schnell eine Fangemeinde für dieses Genre. Das Spielprinzip - feste Regeln, Zufall und Mathematik - war wie geschaffen für den Computer.

Alle Rollenspiele zeichnen sich dadurch aus, daß der Spieler in einer künstlichen Welt lebt, die in der Regel im Fantasy-Genre oder Science-Fiction-Bereich angesiedelt ist. Dort nimmt der Spieler eine Rolle ein, beispielsweise die eines Zauberers, Diebes, Kämpfers oder Zwerges. Seine Charaktereigenschaften kann er selbst festlegen. Im Laufe des Spiels sammelt der Spieler Erfahrungen. Ein Ritter wird immer stärker, der Dieb geschickter und der Zauberer mächtiger.

Mit dem Einzug von hohen und bezahlbaren Internet-Bandbreiten für die Masse der Bevölkerung konnten sich die Online-Rollenspiele durchsetzen. Vor dem Internet spielten die Menschen nur gegen den Computer. Die dort generierten Charaktere waren meist leicht zu durchschauen, berechenbar und eindimensional. Der Spieler bleibt mit sich und seinem Computer alleine.

Mit "World of Warcraft" hat die US-Spieleschmiede Blizzard den großen Durchbruch geschafft. Gespielt wird nicht gegen den Computer, sondern mit oder gegen andere Menschen. Spieler können untereinander agieren, sich zu "Clans" zusammenschließen, gemeinsame Missionen erledigen und sich am Abend auf ein Bier in die "Schenke" verabreden. Die Kommunikation findet mit Mikrofon, Kopfhörern und per Chat statt.

Die Spieler können sich zu Clans zusammenschließen

Interessant bleibt das Spiel vor allem deshalb, weil ständig neue Gegenstände, Spielfelder und menschliche Akteure hinzukommen. Und im Gegensatz zu anderen Computerspielen, die irgendwann einmal durchgespielt sind, gibt es bei den Online-Rollenspielen kein Ende.

Geld verdienen die Hersteller nicht nur mit dem Spiel. Zusätzlich gibt es eine Vielzahl von Merchandising-Artikeln, Strategiebücher und Auktionsplattformen, auf denen seltene Gegenstände wie Schwerter oder Zaubertränke ersteigert werden können. Blizzard hat eine Tochterfirma mit 200 Mitarbeitern gegründet, die nichts anderes tut, als Abonnenten zu betreuen.

Richard hat keine Angst, daß er sich isoliert. Schließlich hat er im Spiel Freunde gefunden. Irgendwann möchte er ein reales Treffen mit Mitspielern organisieren. Das einzige Problem dabei: Die Spieler leben über die Welt verstreut.

Auch andere Spieler haben schon in der realen Welt miteinander Erfahrungen gemacht. Nachdem ein chinesischer Spieler ein ausgeliehenes Schwert eines Freundes für über 600 Dollar verkaufte, besuchte ihn dieser und tötete ihn mit einem Messer - in der realen Welt.


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