© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Rechts muß sein
Parteipolitische Asymmetrie: Nicht nur durch Stoibers Bierzeltgekeife leistet die Union der Linken ständig Schützenhilfe
Doris Neujahr

Wer ist hier wohl frustrierter: die Wähler im Osten, die massenhaft zum neuen Linksbündnis überlaufen, oder der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber, der durch diese Wählerwanderung den Erfolg von Union und FDP bei den Bundestagswahlen gefährdet sieht? Anders als durch Frustration ist nicht zu erklären, daß ein erfahrener Politiker sich zu der Äußerung hinreißen läßt, er akzeptiere nicht, daß die Wähler im Osten erneut darüber entschieden, wer deutscher Kanzler wird. Falls es durch den Stimmenanteil von PDS/WASG zu einer rot-rot-grünen Mehrheit oder zu einer Ampelkoalition kommt, was kann Stoiber dann schon tun? Dasselbe wie 2002, als die Wähler in der Ex-DDR ihm die schon sicher geglaubte Kanzlerschaft verdarben: Gar nichts!

Bis zu einem gewissen Grad ist Stoibers Verzweiflung verständlich. In sieben quälend langen Regierungsjahren ist Rot-Grün total gescheitert, und trotzdem könnte die Union die Regierungsübernahme erneut verfehlen. Die Schuld dafür müßte sie sich selber anlasten. Die fehlende Ausstrahlung der Kanzlerkandidatin, die schwammige Programmatik oder der clowneske Westerwelle als Koalitionspartner in spe sind nur Nebensächlichkeiten.

Der tiefere Grund ist das asymmetrisches Parteiensystem in Deutschland. Es gibt drei anerkannte Parteien - SPD, Grüne, PDS/WASG -, die sich links von der Mitte positionieren, aber nur eine, nämlich CDU/CSU, die die Zuständigkeit für Positionen rechts von der Mitte zumindest, na ja, nicht völlig ausschließt. Während enttäuschte Linkswähler stets Alternativen im eigenen Lager finden, bleibt enttäuschten Unionswählern nur die Wahlenthaltung oder die Stimmabgabe für rechte Splitterparteien, die bei der Mehrheitsfindung im Parlament so oder so keine Rolle spielen.

Das Protestpotential wird künftig noch anwachsen

Es kommt sogar noch verrückter: Potentiell rechte Protestwähler geben, um ihre Stimme nicht ganz zu verschwenden, diese der PDS/WASG und stärken damit das linke Lager. In dieser strategischen Falle werden CDU/CSU künftig noch tiefer versinken, denn die Dauerpräsenz und das Anwachsen eines Protestpotentials kann als sicher gelten. Was immer eine Regierung an Notwendigem und Richtigem tut, der Kreis derjenigen, deren soziale Lage sich dadurch - zumindest vorübergehend - verschlechtert, wird größer statt kleiner werden. Der "Wohlstand für alle" war gestern, heute fühlen sich immer mehr Wähler von der etablierten Politik nicht mehr vertreten und formulieren ihren subjektiv berechtigten Protest. Was sich jetzt in der Ex-DDR vollzieht, gibt den Vorgeschmack auf eine mögliche gesamtdeutsche Entwicklung. Das bundesdeutsche Parteiensystem stellt sich gerade darauf ein, allerdings nur auf der linken Seite.

Seit Beginn der sechziger bis in die frühen achtziger Jahren bestand dieses System aus CDU/CSU und SPD, die - verkürzt gesagt - das rechtsdemokratische und das linksdemokratische Spektrum abdeckten. In der Mitte, gewissermaßen als Symmetrieachse zwischen Links und Rechts, stand die FDP. Seit Anfang der achtziger Jahre etablierte sich mit den Grünen eine weitere, deutlich akzentuierte Linkspartei, und zwar als Folge nachlassender Integrationskraft der SPD in einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft.

Der strategische Vorteil, den die Linke durch diese Zellteilung erzielte, wurde zunächst nicht recht deutlich. Dafür sorgte die Fünf-Prozent-Klausel sowie die - bei Abspaltungen unvermeidlichen - Eifersüchteleien und Friktionen zwischen beiden Parteien. Der hessische SPD-Ministerpräsident Holger Börner wollte sogar mit Dachlatten auf die Grünen einschlagen, ehe kam, was kommen mußte und er 1986 mit Joschka Fischer die erste rot-grüne Koalition vereinbarte.

Vor allem aber schwamm Helmut Kohl, zuerst begünstigt durch eine mehrjährige Hochkonjunktur, dann durch die Wiedervereinigung, auf einer Erfolgswelle, die alle rot-grünen Blütenträume auf Bundesebene unter sich begrub. Die sich trotzdem subkutan abzeichnende Mehrheit links von der Union, auf die Willy Brandt früh hinwies, glaubte diese um so leichter ignorieren zu können, weil sie ja gemeinsam mit der FDP das "bürgerliche (Gegen-)Lager" bildete.

Das war und ist eine simplifizierte Zuordnung der FDP, denn vor allem verstehen die Liberalen sich als die Mitte der Mitte, als politische Symmetrieachse eben. Die FDP ist beidseitig befahrbar, sie hat auch schon Ampelkoalitionen ermöglicht und das linke Übergewicht nach Bedarf bestätigt. Die Union aber hat außer den Liberalen keinen anderen Partner und verliert zudem am rechten Rand ständig Wähler. Schließlich findet auch im rechtsdemokratischen Spektrum eine Ausdifferenzierung statt.

Es wäre nur logisch gewesen, daß sich, analog zu den Grünen auf der Linken, eine klar profilierte Kleinpartei rechts von der Union etabliert, die von CDU/CSU nach einigem Heulen und Zähneklappern als demokratischer Partner akzeptiert wird. Damit wäre die parteipolitische Symmetrie wiederhergestellt, die Stimmen unzufriedener Wähler könnten im rechtsdemokratischen Lager gehalten werden, und es bestünde wieder Chancengleichheit zwischen Links und Rechts.

Der Landtag von Baden-Württemberg, in dem die Republikaner, angeführt vom bürgerlichen-moderaten Schwiegermuttertraum Rolf Schlierer, in den neunziger Jahren zwei Legislaturperioden lang saßen, hätte sich als Versuchslabor für entsprechende Lockerungsübungen angeboten. Doch die Union entschloß sich zur antifaschistischen Volksfrontpolitik. Zur Strafe muß sie jetzt wieder um den Wahlsieg zittern. Schadenfreude darüber ist ausdrücklich erlaubt.

Den linken Parteien geht keine Stimme verloren

Gegen das Rechts-Links-Schema sind allerhand Argumente vorgebracht worden, unter anderem ideengeschichtliche ("Das Ende der Ideologien") und sozialgeschichtliche ("Die Neue Mitte"). In der Praxis aber reproduziert es sich immer wieder neu. Es ist deshalb an der Zeit, daß die Union die von Franz-Josef Strauß herrührende Behauptung, rechts von ihr dürfe sich keine demokratisch legitimierte Partei etablieren, in die Rumpelkammer verabschiedet. Sachlich überzeugend war diese Analyse nie, sie entsprang lediglich den Partikularinteressen der CSU. Denn mit ihrer absoluten Mehrheit - die gegen eine dezidierte Rechtspartei in Bayern schwer zu verteidigen wäre - steht und fällt ihr Charakter als bayerische Staatspartei, der ihr einen überproportionalen Einfluß auf Bundesebene sichert, der wiederum ihren Ruf als erfolgreiche Sachwalterin Bayerns bestätigt, der ihre Wahlerfolge reproduziert - eine Endlosspirale des Erfolgs zweifellos, die sich immer weiter drehen soll.

Auf den Bund hochgerechnet, war das so lange noch akzeptabel, wie die CSU mit überdurchschnittlichen Wahlergebnissen die Verluste der CDU im rechten Wählerspektrum recht und schlecht kompensierte. Seit der Wiedervereinigung ist es damit vorbei. Bei den Bundestagswahlen 2002 erzielte die CSU in Bayern mehr als 60 Prozent, das Gesamtergebnis der Union lag nur bei 38,5 Prozent.

Der Beitritt von 16 Millionen Nichtbayern zum Grundgesetz, wie es so schön heißt, hat die Bedeutung der CSU klar vermindert. In der Ex-DDR ist sie nicht mehr als ein bayerisches Ereignis, und auch in Westdeutschland ist ihre politische Schwerkraft zurückgegangen. Seit Strauß' Tod ohne charismatischen Führungsfigur, kann sie außerhalb Bayerns keine potentiellen Rechtsabweichler mehr an die Union binden. Diese flüchten sich in die Wahlenthaltung oder gehen auf andere Weise dem rechtsdemokratischen Lager verloren.

Das macht die Situation der Linken doppelt komfortabel. Ihr geht keine Stimme verloren, sondern die linken Stimmen werden - vereinfacht gesagt - nach dem System kommunizierender Röhren von Wahl zu Wahl umverteilt. Durch die Etablierung der PDS, die als linke Regionalpartei begann und jetzt als soziale Protestpartei gen Westen ausgreift, ist die Lage noch günstiger geworden. Das Gezeter aus der SPD gegen Oskar Lafontaine kommt aus ehrlich empörten Herzen, doch politisch bedeutet es nicht mehr als der Theaterdonner von vor 20 Jahren zwischen Rot und Grün.

Schon hat Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) in mehreren Interviews klar gemacht, wohin die Reise letztlich geht und die neue Linkspartei als künftigen Koalitionspartner willkommen geheißen. Altfundamentalisten, denen die Grünen zu bürgerlich geworden sind, gehen zur PDS und bleiben damit dem linken Wählerlager erhalten. Die Grünen, von peinlichen Altlasten befreit, können desto effektiver im liberalen und sogar wertkonservativen Spektrum wildern und das linke Lager zusätzlich stärken.

Rechtswähler dagegen, denen die Union aus den unterschiedlichsten Gründen nicht oder nicht mehr gefällt, haben keine Ausweichmöglichkeit. Nicht wenige von ihnen werden die Linkspartei.PDS wählen, obwohl ihnen das Wahlprogramm der Postkommunisten ("Wir brauchen keine deutsche Leitkultur!") zuwider ist. Das ist zwar absurd, aber immer noch wirksamer, als sich der Stimme zu enthalten oder diese zum Fenster hinauszuwerfen.

Statt in haltloses Bierzeltgekeife auszubrechen, sollte Stoiber sich endlich einmal Gedanken darüber machen, wie die Union sich aus ihrer selbstverschuldeten strategischen Minderheitsfalle befreien will, und mit ihm der Kindergarten der CDU-Präsiden, der Jürgen, der Christian, der Peter, der Roland und, ach ja, die Angela, falls es sie nach dem 18. September überhaupt noch gibt.

Die Union braucht eine rechtsdemokratische Partei

Es geht um das Aufbrechen der parteipolitischen Asymmetrie in Deutschland. Aus schierem Selbsterhaltungstrieb muß die Union eine demokratisch legitimierte Partei dulden, akzeptieren, ja gegen erwartbare linke Pressionen überhaupt ermöglichen, so wie die SPD die Grünen und Rot-Grün heute die aus PDS und WASG gebildete Linkspartei akzeptieren und ermöglichen. Kurzfristig geht es um die Neutralisierung der populistisch-linksradikalen PDS/WASG durch ein populistisch-rechtsradikales Gegenstück. Längerfristig geht es um die Durchsetzung eines symmetrischen Parteiensystems in Deutschland.

Übrigens hat Konrad Adenauer es am Ende seines Lebens als einen seiner größten innenpolitischen Fehler bezeichnet, die rechtsnationale Deutsche Partei eliminiert zu haben. Adenauers Fehler ließe sich korrigieren.


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