© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Suche nach Vaterersatz
Männerbund: Ulrike Brunotte mangelt es an Neugier
Helge Steckmers

Eigentlich hätte ein gutes Buch zur politischen Ideengeschichte des "Männerbundes" entstehen können. Der Verlag scheute wenigstens keine Mühen, stellte teures Papier zur Verfügung, wählte eine ansprechende Drucktype, gestaltete einen schönen blauen Einband unter Verwendung von Hans von Marées' "Ruderern". Die Verfasserin, Ulrike Brunotte, ist habilitierte Religionswissenschaftlerin, dank familiärer Prägung in der Beletage des niedersächsischen Protestantismus nahezu prädestiniert, den Konnex von Politik und Religion zum Lebensthema zu wählen, und einschlägig bekannt durch ihre Untersuchung über die politisch höchst wirkungsmächtige religiöse Vorstellungswelt des neuenglischen Puritanismus.

Trotzdem legt man ihre Studie "Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne" enttäuscht aus der Hand. Sie bietet keine neuen Aufschlüsse, sondern referiert nur die in letzten Jahren stark feminisierten Ansichten über die "Erfindung des Männerbundes in Ethnologie und Kultur", wie gleich ihr Eingangskapitel modisch angelehnt an Benedict Anderson überschrieben ist.

Was folgt, stellt uns noch einmal das bekannte Personal dieser Bühne vor: die Hauptdarsteller Heinrich Schurtz und Hans Blüher, daneben die Chargen Walter Flex, Rainer Maria Rilke, Otto Weininger, Gottfried Benn und seine "Dorische Welt", in der Komparserie die Jugendbewegung, die Steglitzer Wandervögel, Frauenfeinde wie Alfred Baeumler oder Mythologen der "posthumanen Männlichkeit" wie Ernst Jünger, schließlich noch Üblichkeiten zur "Konstruktion des germanischen Männerbundes", die natürlich am "Totenkult" von Langemarck und Otto Höflers SS-gerechten "Kultischen Geheimbünden" nicht vorbeikommen.

Durch die Textdschungel der Blüher und Genossen bahnt sich Brunotte eigentlich keinen eigenen Pfad, sondern sie folgt den von Klaus Theweleit, Bernd Hüppauf oder Stefan Breuer ausgetretenen Wegen, wobei ihr vor allem die unveröffentlichten Vorlesungsmanuskripte ihres Lehrers Klaus Heinrich behilflich sind, dessen Dahlemer Lehrveranstaltungen in den siebziger und achtziger Jahren für das linksliberale intellektuelle West-Berlin, zumal für dessen weiblichen Teil, fast gesellschaftliche Ereignisse waren, die aber heute, soweit publiziert, als Mixtur aus Karl Marx, Paul Tillich und Sigmund Freud doch etwas verstaubt wirken.

Bedauerlich ist, daß Brunotte ihre religionswissenschaftliche Kompetenz nicht ausspielt. Viel, zuviel ist zwar von "Performation" des "kollektiven Bewußtseins", von "performativer Praxis" der homoerotisch befeuerten Gemeinschaftsbildung die Rede, von "Sinnproduktion", aber die "tiefgreifende kulturgeschichtliche Analyse", die sie fälschlich Thomas Manns Andeutungen über Hans Castorps "Sympathie mit dem Tode" zuschreibt, die bietet Brunotte nun gerade nicht.

Wie funktioniert denn die "emotionale Vergemeinschaftung"? Da ist doch gerade bei Max Weber, den Brunotte mit Blüher vergleicht, eine große Leerstelle, die sie hätte füllen können. Webers religionssoziologische Studien operieren mit der "Macht des Charismas", doch welche psychischen Mechanismen verschaffen dem Charismatiker diese Bindungs-Macht?

In ihrem Versuch einer "politischen Konkretisierung" greift Brunotte auf Sven Reichardts Arbeit über "Faschistische Kampfbünde" (JF 16/03) zurück. Demzufolge sei die "vaterlose Generation" der jungen SA-Männer um 1930 nach einer "familienlosen Kindheit" auf der Suche nach einem Ersatzvater, dem "vitalen Führer" gewesen, hätte in den "braunen Bataillonen" und im "Gruppengeist der Straße" einen "Familien- und Arbeitsersatz" gefunden. Klingt irgendwie nicht nach Freud, sondern nach Alfred Adlers Kompensationstheorie, erklärt aber den Resonanzerfolg politischer, "verkappter Religionen" auch nicht, sondern bestätigt nur den Allgemeinplatz, daß in den Männerbünden eine anti-moderne "Gegen-Gesellschaft in der und zur Weimarer Republik" entstand.

In diesem Großessay, der doch so solide über die "Grundzüge der Forschung" informiert, spricht die Verfasserin oft über die von ihr leider nicht enträtselte Macht der Emotionen. Man hätte sich gewünscht, sie wäre von der stärksten Emotion des Forschers ergriffen worden - der Neugier.

Ulrike Brunotte: Zwischen Eros und Krieg. Männerbund und Ritual in der Moderne. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2004, 171 Seiten, 20,50 Euro.


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