© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Das große Schweigen
Technokraten-Verein: Im Kulturbereich ist von der Union auch nach der Wahl wenig zu erwarten
Paul Rosen

Um klare Aussagen zur Kulturpolitik hat sich die Union in ihrem Wahlprogramm herumgedrückt. Die Kultur war überhaupt noch nie die starke Seite von CDU und CSU. In ihrem Wahlprogramm widmen die Bürgerlichen diesem Bereich nur wenige Seiten. Dafür wird bereits heftig über die Frage spekuliert, wer neuer Kulturstaatsminister in einem Merkel-Kabinett werden könnte.

Die deutsche Presse fiel mit Hohn und Spott über die Union her. So merkte der Spiegel an, "daß die Union erneut die Chance verpaßt, ihre Wahlkampf-Palette aus Lohnnebenkosten, Arbeit, Mehrwertsteuer und Gesundheitspauschale kulturell zu veredeln und so dem graumäusigen Rechenschieber-Image einer freudlosen Truppe von Sozialreparateuren zu entkommen". Die karge Niederschrift der Union enthält solche Sätze, daß Kunst und Kultur "aus dem Gestaltungswillen von Menschen und der Kreativität von Künstlern" wachsen. Der Staat sei nicht für Kunst und Kultur zuständig, "wohl aber für die Bedingungen, unter denen sie sich entwickeln können". Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung höhnte, man könne im Wahlprogramm der Union die Worte Kunst und Kultur auch durch Ackerbau oder Binnenschiffahrt ersetzen, ohne daß sie dadurch falsch würden. Und die Süddeutsche Zeitung bezeichnete das Wahlprogramm als "Katastrophe für jeden aufrechten Konservativen".

Wenn die Rede auf Merkel und die Kultur kommt, dann denken die meisten an den Auftritt der Kanzlerkandidatin bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth, wie sie freundlich winkend an den Schaulustigen vorbeischritt und unübersehbar einen großen Schweißfleck unter der Achsel hatte. Daß dieser Fleck in einem Teil der veröffentlichten Pressefotos von wohlmeinenden Fotoredakteuren wegretuschiert worden war, blieb im Gedächtnis haften - mehr nicht. Überhaupt hat die Kanzlerkandidatin, früher beruflich als Physikerin tätig, zur Kulturdiskussion wenig beizutragen. Auf die Frage, ob sie dafür sei, die Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz zu schreiben, sagte sie nur, sie habe sich dazu noch keine abschließende Meinung gebildet.

Das große Schweigen der CDU zu Kunst und Kultur hat eine Erklärung. Seit ihrem Leipziger Parteitag ist die CDU zu einem Technokraten-Verein heruntergekommen. Mit komplizierten Modellen sollen die Sozialsysteme gerettet werden. Sozial sei, was Arbeit schaffe, heißt einer der Grundsätze, ein anderer besagt, daß Arbeit Vorfahrt habe. Daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern auch Botschaften braucht, die über Prozentzahlen hinausgehen und Sinn stiften, ist in der CDU immer mehr in Vergessenheit geraten.

Daß das Wahlprogramm krankt, wird am Kulturteil exemplarisch deutlich. Natürlich kann man auf dem Standpunkt stehen, die deutsche Kulturszene neige in ihrer großen Mehrheit ohnehin SPD, Grünen oder Linkspartei zu. Das müßte für die Bürgerlichen jedoch kein Grund sein, den Kopf präventiv in den Sand zu stecken und auf jeden Gestaltungswillen zu verzichten. Eine klug gestaltete Filmförderung könnte beispielsweise dafür sorgen, daß nicht nur die Stoffe verfilmt werden, die vorher die Anerkennung in den Feuilletons erhalten haben. Viele Menschen, die durch Museen geführt werden, rätseln über die Bedeutung der Exponate. "Was will uns der Künstler damit sagen?" ist eine häufig gestellte Frage, und Zyniker pflegen beim Museumsbesuch den "Grünen Punkt" an etlichen Exponaten zu vermissen. Im Reichstag steht ein großer, einem Abfallcontainer nicht unähnlicher und mit Unkraut bewachsener Behälter mit der Aufschrift "Der Bevölkerung". Eine Mehrheit der Kunstkommission des Deutschen Bundestages hält dieses Gebilde für Kunst, die meisten Besucher haben den Eindruck, es handele sich um einen ungepflegten Innenhof.

Schauspielhäuser und Philharmonien legen heute Programme auf, die nur noch Hardcore-Interessenten sehen oder hören wollen. Das breite Publikum bleibt lieber zu Hause. Und was ist erst mit der Gedenkkultur in Deutschland? Berlin erlebt eine Inflation an Erinnerungsstätten. Das Holocaust-Denkmal ist nur vorerst die letzte Einrichtung dieser Art. Umgekehrt findet die Erinnerung an die Berliner Mauer und ihre Schrecken nur an abseits gelegenen Orten statt. Bundeswehr-Soldaten sterben in Auslandseinsätzen. Niemand kann bisher auf den Gedanken, dieser Männer, die immerhin im Einsatz für die Demokratie ums Leben kamen, an zentraler Stelle zu gedenken.

Die sind nur einige Punkte aus dem großen Bereich der Kulturpolitik. Aber da die CDU in den vergangenen Jahren keine Akzente setzte, ist von ihr auch nach der Wahl wenig zu erwarten. Sie hat auch kaum Köpfe, die in diesem Metier eine größere Rolle spielen könnten. Das fällt nur deshalb nicht auf, weil Kanzler Schröder seinen Kulturminister Michael Naumann nach nur zwei Jahren wieder verlor. Naumann ging als Herausgeber zur Zeit. Die jetzige Amtsinhaberin Christina Weiss (parteilos) agiert ausgesprochen unauffällig.

In kulturpolitischen Fragen äußern sich gelegentlich die Berliner CDU-Kandidatin Monika Grütters, der Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Christoph Stölzl, und die parteilose Hamburger Kultursenatorin Karin von Welck. Daß der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Günter Nooke kulturpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist, erfährt man erst auf hartnäckiges Nachfragen.

Wichtigster Mann im Kulturbereich ist weiterhin Nookes Vorgänger Norbert Lammert. Der Politologe und Soziologe aus Bochum ist außerdem Chef der mächtigen CDU-Landesgruppe Nordrhein-Westfalen im Bundestag. Er gab den Kulturposten in der Fraktion nur ab, um auf den repräsentativen Posten des Bundestagsvizepräsidenten klettern zu können. Sollte Lammert das Amt des Kulturministers anstreben, käme Merkel an ihm nicht vorbei. Eine Fortsetzung der farblosen Erscheinung der Union im Kulturbereich wäre die Folge.

Dabei hätten sie in der Union einen, der in Naumanns Fußstapfen treten und die Kulturszene in einen kreativen Schockzustand versetzen könnte: Peter Gauweiler. Der CSU-Mann aus München ist in Literatur, Kunst und Geschichte bewandert und hält jeder Debatte stand. Er setzt stets eigene Akzente, oft weitab vom Mainstream seiner Union, und ist einer der letzten national Denkenden in der Fraktion. Die rot-grünen Vertreter im Bundestagsausschuß für Kultur und Medien werden schweigsam, sobald Gauweiler da ist, weil sie das Streitgespräch mit ihm fürchten. Aber er wird nichts: Mit seiner Klage gegen den EU-Verfassungsvertrag hat er gegen ein zentrales Tabu der Union verstoßen.

Foto: Angela Merkel und ihr Ehemann Joachim Sauer bei den diesjährigen Wagner-Festspielen in Bayreuth: Für Kunst und Kultur nicht zuständig


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