© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 34/05 19. August 2005

Verhärtete Fronten
Iranisches Atomprogramm: Gefährliches Spiel mit dem Feuer
Günther Deschner

Massenvernichtungswaffen", "islamische Atombombe", "Militärschläge": Das klingt wie vor zweieinhalb Jahren, als es um einen anderen "Schurkenstaat" ging. Damals lagen "Beweise" dafür vor, daß der Irak über Bio- und Chemiewaffen verfügte und daß er "in wenigen Monaten" auch Atombomben besitzen würde. Wie es um diese "gesicherten Erkenntnisse" bestellt war, ist bekannt. Die Medienhysterie war das Vorspiel für den US-Angriff auf den Irak.

Nun gerät der Iran ins Visier. Aus der Sicht derer, die die US-Politik bestimmen, ist der 70-Millionen-Einwohner-Staat die letzte Regionalmacht von Rang, die sich in Nah-Mittelost ihren imperialen Zielen entgegenstellt. Washingtons Wunschziel ist, die Ajatollahs zu stürzen, einen Regimewechsel herbeizuführen und auch in Teheran ein gefälligeres System zu etablieren. Die Vermutung wäre also nicht abwegig, daß das iranische Atomprogramm als Vorwand herhalten muß.

Doch der Iran spielt in puncto Atomprogramm in einer ganz anderen Liga, als es der Irak tat. Seit Israel im Jahr 1981 mit einem spektakulären Luftangriff den mit französischer Hilfe errichteten irakischen Atomreaktor Osirak schon vor seiner Vollendung zerstört hatte, gab es zwischen Euphrat und Tigris in nuklearer Hinsicht nichts Nennenswertes mehr zu berichten.

Im Iran hingegen spielt Kernenergie seit Jahrzehnten eine wachsende Rolle. Es wirkt wie die "List der Idee", von der Hegel spricht, daß es US-Präsident Eisenhower war, der dem Iran des damals herrschenden Schah Resa Pahlevi vor rund 50 Jahren den ersten Zugriff auf die Nutzung der Kernenergie ermöglichte. Als der Schah 1979 stürzte, waren die zwei Reaktoren des von Siemens gebauten Kernkraftwerks Bushehr zu drei Vierteln vollendet. Inzwischen - mit russischer Hilfe fertiggestellt - ist das Kraftwerk längst am Netz.

Nach den traumatischen Erfahrungen des irakisch-iranischen Krieges, als der Irak chemische Waffen und weitreichende Raketen (ausgerichtet nach von den USA gelieferten Satellitenbildern!) gegen den Iran eingesetzt hatte, wurde Mitte der achtziger Jahre ein neues Nuklearforschungszentrum bei Isfahan gegründet, das aber nicht der internationalen Atomaufsichtsbehörde (IAEA) gemeldet wurde. Nach der irakischen Besetzung Kuweits intensivierte der Iran seine nuklearen Anstrengungen. Rußland, China und Pakistan kooperierten. Seit 2002 bekanntwurde, daß Iran in Natans auch eine Urananreicherungsanlage errichtet hatte, die für zivile und militärische Zwecke genutzt werden kann, ist der Iran unter dem Verdacht, daß auch er nach Atomwaffen strebt.

Träfe dies zu, wäre es alles andere als verwunderlich. Schon längst ist der Club der Atommächte nicht mehr exklusiv. In der nah-mittelöstlichen Region verfügen Indien, Pakistan und nicht zuletzt Israel über gewaltige nukleare Potentiale. Israels Potential wird von Fachleuten auf 200 Sprengköpfe geschätzt, die mit Hilfe einer schlagkräftigen Luftwaffe und der von Deutschland gelieferten und dann umgerüsteten U-Boote in alle Zielgebiete verbracht werden können. Offiziell will sich Israel, das nicht Mitglied des Atomwaffensperrvertrags ist, über den Besitz von Nuklearwaffen nicht äußern und bei seiner Strategie der "nuklearen Zweideutigkeit" bleiben - auch mit Blick auf den Iran. Zu allem Überfluß haben die USA den Staaten der Region demonstriert, was die territoriale Integrität eines Staates heutzutage noch wert ist, der über keinerlei nukleare Option verfügt.

Die Fronten sind verhärtet. Iran fühlt sich von den USA bedroht und eingekreist. Washington und West-Jerusalem haben wiederholt klargestellt, daß sie die Entwicklung iranischer Atomwaffen keineswegs akzeptieren werden. Israel droht offen mit der Bombardierung der iranischen Atomanlagen. "Alle paar Tage", so der israelische Friedensaktivist Uri Avnery, "sieht man auf unseren Fernsehschirmen die digital unkenntlich gemachten Gesichter der Piloten, die sich ihrer Bereitschaft rühmen, dies jederzeit zu tun."

Noch ist es nicht soweit. Noch ist nicht sicher, ob die nuklearen Aktivitäten des Iran tatsächlich auf die Bombe zielen. Wenn sich der Iran jetzt entschlossen hat, in Isfahan wieder mit der Umwandlung von Uran (in gasförmiges Uranhexafluorid) zu beginnen, so ist das noch nicht die Anreicherung des spaltbaren Materials in Zentrifugen und noch keine Antwort auf die Frage, ob sie zu friedlichen oder zu militärischen Zwecken erfolgt. Welchen Weg die Mullahs einschlagen wollen, wird man gespannt beobachten.

Vieles von dem, was gesagt und behauptet wird, mag auch nur Machtpoker sein. Aber es ist ein gefährliches Spiel! Ein Militärschlag durch den "großen Satan" (die USA) oder den "kleinen Satan" (Israel) kann den ganzen "schiitischen Halbmond" vom Iran bis zum Süd-Libanon in Brand stecken. Und er kann die letzte Hoffnung auf eine halbwegs erträgliche Lösung im Irak zunichte machen - vom Faktor Öl ganz zu schweigen!

Die Fortsetzung der Verhandlungen der EU-Troika aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien, die auf eine friedliche Konfliktlösung zielen, ernsthaft unterstützt von den USA, sind die einzig sinnvolle Option. Trotzdem werden sich die USA (die Europäer sowieso!) daran gewöhnen müssen, daß andere Mächte stärker werden. Das mag bedauerlich sein, ist aber eine Tatsache.


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