© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/05 12. August 2005

Völkerverbindender deutscher Strom
Die vor achtzig Jahren stattfindenden rheinischen Jahrtausendfeiern stellten ein Manifest gegen die Fremdherrschaft dar
Manfred Müller

Die Stadt prangt in Grün und Flaggenschmuck. Jahrtausendfeier! Ein politisches Fest. Ich gebe nicht viel darum. Die Deutschen sind ein scheußliches Volk, freuen sich ihrer Sklaverei. Eitler Zauber!" Dies schrieb am 22. Mai 1925 der 27jährige Joseph Goebbels, gebürtig aus Rheydt, in sein Tagebuch. Als Rheinländer wußte er, daß seine Landsleute alle möglichen Gelegenheiten nutzten, um Feste zu feiern, aber in der Beurteilung der "Jahrtausendfeier" traf er nicht den Kern der Sache.

Was da vor achtzig Jahren im französisch, britisch und belgisch besetzten Rheinland an Feierlichkeiten organisiert wurde, machte die Weltöffentlichkeit - sehr zum Mißfallen der Besatzungsmächte - auf einen Status des rheinischen Grenzlandes aufmerksam, der nicht mehr zu den Parolen von europäischem Ausgleich und Völkerversöhnung passen wollte, wie sie damals auf deutscher und alliierter Seite artikuliert wurden.

Die Initiative zu den feierlichen Kundgebungen, mit denen die tausendjährige Wiederkehr der Vereinigung Lotharingiens mit dem Ostfrankenreich (925) begangen werden sollte, ging von den im Provinziallandtag zusammengefaßten Kommunen der preußischen Rheinprovinz aus. Ein eher marginales historisches Ereignis mußte dafür herhalten, daß eine Flut patriotischer Veranstaltungen die letzten Zweifel an der deutschen Gesinnung der Rheinländer beseitigen sollte, die vielleicht noch von den separatistischen Umtrieben und Putschversuchen des Jahres 1923 übriggeblieben waren. Höhepunkte der zahlreichen Kundgebungen, kulturellen und sportlichen Veranstaltungen sollten ein Festakt des Provinziallandtages am 18. Juni 1925 in Düsseldorf und die Jahrtausendausstellung in Köln sein (Erinnerungslandschaft Rheinland mit romantischen Anklängen).

Die Besatzungsmächte fühlten sich unangenehm berührt. Einfach verbieten konnten sie das alles nicht, andererseits wollten sie möglichst vieles einschränken, was nach Auffassung des französischen Außenministeriums nur ein Vorwand war, um die interalliierte Militärverwaltung durch "pangermanische" Demonstrationen in Mißkredit zu bringen. Die Eingriffe der Franzosen waren schärfer als die der Belgier und Briten. Insgesamt lief es darauf hinaus, daß in der Regel Veranstaltungen in geschlossenen Räumen nicht beanstandet wurden, Kundgebungen unter freiem Himmel dagegen nach Möglichkeit verhindert werden sollten.

Rhein als völkerverbindender Strom verfeindeter Völker

Auf rheinischer Seite gab es eine einfallsreiche Regie, welche die Eingrenzungsstrategie der Besatzungsmächte unterlief. So etwa wenn kirchliche Institutionen für Veranstaltungen unter freiem Himmel die Verantwortung übernahmen. Ein typisches Beispiel: Zu Pfingsten 1925 lud der Bund Neudeutschland (ND), eine katholische Gymnasiastenorganisation, zu einer "Westmarktagung" nach Aachen ein. In einem Festzug marschierten tausend NDer (Untersekundaner bis Oberprimaner) durch die Stadt - "zu Ehren unserer Heimat und unseres Vaterlandes", wie der 17jährige "ND-Gauleiter" Josef Gülden betonte. Danach führte man unter freiem Himmel das Tellspiel von Weinrich auf, das in den jungen Menschen, so Gülden (später ein profilierter Priester in der DDR), den Drang wachsen ließ, "wie Tell dem Heimatlande Befreiung zu erwirken - nur daß wir's nicht mit dem Bogen in der Hand vermögen, sondern ein jeder von uns ein ganzer Mann wird, der für sein Vaterland seine Pflicht tut".

In den zahlreichen Bekundungen der Jahrtausend-Feierlichkeiten wurden aber auch sehr versöhnliche Töne angeschlagen. Beispielhaft hierfür ist ein Aufruf des expressionistischen Dichters Karl Gabriel Pfeill (1889-1942). Dieser Autor, der in Neuss geboren wurde, hatte Pfingsten 1919 die Initiative zu einem "jungrheinischen Bund für kulturelle Erneuerung" ergriffen, eine Künstlervereinigung, die in den zwanziger Jahren unter dem Namen "Der weiße Reiter" wirkte. Für Pfeill und seine Freunde war 1925 klar, "daß der Rhein ein deutscher Strom ist und für immer mit allem Hohen und Heiligen, was der Genius des deutschen Volkes als wachsam behüteten Besitz unter seinen Flügeln birgt, in geheimnisvollem und mehr als sinnbildlichem Zusammenhang steht". Aber der Rhein müsse auch wieder zum völkerverbindenden Strom werden. Aus den Erfahrungen "unseres in der Völkermitte gelegenen heißumstrittenen Grenzlandes" sollten die Rheinländer "zur leuchtenden, zur morgendlichen Brücke" werden, "auf der sich die Geister der bisher, ach, so unselig verfeindeten Völker in Vertrauen und Liebe begegnen".

In den Jahrzehnten nach 1925 haben sich in den Ballungsräumen der "Rheinschiene" allerdings multikulturelle Strukturen so stark entwickelt, daß es fraglich erscheint, ob diese Brückenfunktion mangels deutscher Substanz überhaupt noch gelingen kann.


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