© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/05 12. August 2005

Wer schlief in meinem Bettchen
Kino: Kim Kiduks "Bin-Jip"
Claus- M. Wolfschlag

Tae-suk (Lee Seung-yeon) fährt auf seinem Motorrad durch ganz unterschiedliche Wohngegenden und klebt Fugzettel für einen Pizzaservice an Haus- und Wohnungstüren. Wenn von diesen einer am Abend noch dort hängt, weiß er, daß niemand zu Hause ist, und bricht in die betreffende Wohnung ein. Er stiehlt nichts, sondern macht es sich nur wohnlich, als wäre dies selbstverständlich. Er schaltet den Fernseher an, bedient sich aus dem Kühlschrank und kocht Mahlzeiten, begutachtet fremde Schrankinhalte und Fotoalben, besprüht Zimmerpflanzen, repariert defekte Gegenstände, badet, wäscht seine Kleider und schläft in fremden Betten.

Eines Tages dringt er wieder in eine Wohnung ein, bemerkt aber nicht, daß sich jemand in der weiträumigen Villa aufhält. Sun-hwa (Jae Hee), die junge Frau mit Blutergüssen im Gesicht, beobachtet den Eindringling erst heimlich und mit Interesse. Schließlich gibt sie sich zu erkennen. Tae-suk, erst erschrocken, merkt bald, daß er Sun-hwa nicht unwillkommen ist.

Vorsichtig lernen sich die beiden kennen, bis Sun-hwas Ehemann nach Hause kommt. Dieser erweist sich als brutaler Macho, der seine Frau schlägt. Sun-hwa schließt sich Tae-suk an, und fortan ziehen die beiden gemeinsam durch fremde Wohnungen. Als sie schließlich in einer Wohnung die Leiche eines alten Mannes finden, kommt es zum Eklat. Sie werden entdeckt, Tae-suk wird eingesperrt und Sun-hwa wieder ihrem Ehemann übergeben.

Doch Tae-suk bildet in seiner Gefängniszelle mysteriöse Fähigkeiten aus. Er entwickelt die Gabe, sich perfekt zu verstecken, sich so im Rücken von Menschen zu bewegen, daß sie ihn nicht im Blickfeld haben. Als er schließlich aus dem Gefängnis kommt, sucht er Sun-hwa erneut auf ...

Regisseur Kim Ki-duk, 1960 in Südkorea geboren, wurde im Westen vor allem durch seine extrem brutalen Filme "The Isle" (2000) und "Address Unknown" (2001) sowie sein Meisterwerk "Frühling, Sommer, Herbst, Winter... und Frühling" bekannt (JF 13/04). Sein ein Jahr später entstandener Film "Bin-Jip" wartet mit Rekord-Produktionszeiten auf. Ki-duk schrieb das Drehbuch in einem Monat, der Film wurde in sechzehn Tagen abgedreht, und der Schnitt dauerte nur ganze zehn Tage. Die Qualität litt nicht darunter, und der Regisseur erhielt folglich 2004 in Venedig den Silbernen Löwen für die beste Regie.

Im Vergleich zum amerikanischen Dialogkino mit seiner oft übertriebenen Geschwätzigkeit herrscht in "Bin-Jip" asiatische Stille. Ki-duk setzt ganz auf die visuelle Kraft des Mediums Film. Die Kommunikation zwischen dem jungen Paar findet fast wortlos, nur durch zarte Mimik und Gestik, statt, die Geschichte entwickelt sich aus körperlicher Aktion und Bildern. Am Ende ist man nicht einmal mehr ganz sicher, ob Tae-suk ein realer Mensch ist, ein Geist oder nur eine Traumfigur aus dem Unterbewußtsein einer Frau, die sich auf dem Weg zu sich selbst befindet.


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