© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/05 12. August 2005

CD: Pop
Maschen
Peter Boßdorf

Françoise Cactus müßte schon deutlich über 40 sein und schleppt dennoch, wie etwa auch der Jahrmarktsexpressionist Blixa Bargeld oder der Punkmillionär Campino, beide in etwa Altersgefährten, ihren debilen Künstlernamen wie einen Kinderausweis mit sich herum, obwohl doch längst das große Rechnen in Sachen Riester-Rente begonnen haben sollte. Immerhin ist ihr musikalisches Œuvre konsistent zu ihrer Selbstdarstellung. Gemeinsam mit ihrem Kompagnon "Brezel Göring" geriert sie sich seit etwa einem Jahrzehnt unter dem Etikett "Stereo total" als Spaßduo für die Disko.

Die Rezeption hat es bisher gut mit den beiden gemeint. Man erfrischte sich am musikalischen Minimalismus und an der infantilen Naivität der Texte, beides erinnerte so herrlich an die Unbeschwertheit der Neuen Deutschen Welle, die mit ihren Spitzenleistungen über den Laufsteg von Dieter Thomas Heck den Frohsinn in die Wohnzimmer hineingetragen hatte.

Dem bajuwarischen Slang der Spider Murphy Gang oder dem norddeutschen Timbre von Trio entspricht bei "Stereo total" ein dick aufgetragener französischer Akzent, von dem das Vorurteil sagt, daß er erotisch klänge. Er erlaubt es jedenfalls, ein Frauenbild als vermeintlich authentische Selbstbekundung heraufzubeschwören, das ansonsten nur noch in den immer wieder im Blätterwald aufscheinenden Strandfotos von Flavio Briatore mit wechselnden Partnerinnen in der Öffentlichkeit präsent ist.

Wer großmütig sein will, mag solches als schräg ansehen, und in der Tat war das Aufsehen, das Stereo total 2001 mit "Musique automatique" erzielte, nicht unverdient: Die CD versteht es, noch heute partiell zu amüsieren, was Nur-Comedy-Produktionen nach so langer Zeit in der Regel nicht nachzusagen ist.

Allerdings läuft sich eine derartige Masche, und dies zeigt leider die neue Veröffentlichung "Do the Bambi" (Disko B/Indigo), doch rascher als andere tot. Bekanntlich schunkelte die Republik auch zu Frl. Menke nur einen Sommer lang, seither ist so etwas allein im Showprogramm zu Obi-Baumarktjubiläen oder vergleichbarem noch en vogue. Vor vier Jahren hörte man es sich gerne an, wenn die Françoise bekundete, "isch will bleiben für immer 16", heute ist eher ermüdend bis schauderhaft, von ihr zu hören, daß sie "ganz nakisch" sei.

Richtig peinlich wird es sogar, wo aus Spaß möglicherweise Ernst geworden sein könnte. Die Reminiszenz, die mit "Babystrich" den "Kindern vom Bahnhof Zoo" erwiesen wird, verkennt, daß schon das Original kaum erträglich war, es sei denn, man interpretierte es im Bowie-Rausch als Bekenntnis zum "Dennoch" um - für die Droge und gegen die Sozialarbeiterlarmoyanz einer enervierenden Großstadtschmonzette.

Wer die richtige Masche reitet, kann aber auch das große Glück machen: Coldplay (JF 31-32/05), die erste Band, die - und das hätte als Warnung reichen sollen - Britpop in den USA populär machte, verantwortet langweilige Musik für Menschen, die langweilig leben und ein Stück ihres Alltags in ihrer Alltagsmusik wieder erkennen wollen. Profil gewinnt Coldplay nur, wenn die Musiker so gnädig sind, die Instrumente beiseite zu legen. Die Band pflegt sodann auf sehr unterhaltsame Weise ihr Image, daß ihr ihre Berühmtheit ganz furchtbar peinlich ist. So wird Sänger Chris Martin nicht müde, der Welt sein Leiden an dem öffentlichen Interesse mitzuteilen, das er wegen seiner Ehe mit der Schauspielerin Gwyneth Paltrow ertragen muß. Dabei weiß er selbst hübsche Geschichten zu erzählen. So will er sich nach einer Beinahe-Bruchlandung in Afrika geschworen haben, das beste Album aller Zeiten zu machen. Nun, von "X&Y" kann man nur sagen, daß es so klingt, wie Coldplay halt immer klingt.


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