© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 33/05 12. August 2005

Eine Kandidatin außer Form
Bundestagswahl: Während Bundeskanzler Schröder neue Souveränität zeigt, macht Angela Merkel mit ungeschickten Auftritten von sich reden
Paul Rosen

Mit jedem Tag bis zur Bundestagswahl kann die SPD nur zulegen und die Union in Fallen stolpern, die sie zurückwerfen können. Besonders Kanzlerkandidatin Angela Merkel scheint alles andere als eine starke Phase zu haben, während der herausgeforderte Kanzler Gerhard Schröder neue Souveränität zeigt.

Helmut Kohl, der erfahrenste Wahlkämpfer der CDU, hatte es vorausgesagt. Bei einem Weinfest anläßlich des Geburtstages des CSU-Landesgruppenvorsitzenden Michael Glos im fränkischen Kitzingen warnte er vor der Annahme, daß die Wahl bereits gewonnen sei. Kohl sagte, er erwarte einen schweren Wahlkampf. Der Altkanzler hat recht. Die Verhältnisse in der deutschen Politik wirken verdreht. Schröder erscheint als Herausforderer, Merkel muß sich verteidigen.

Verdrehte Verhältnisse in der deutschen Politik

Voreilig hatte die Unionsführung nach dem Sieg der CDU bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen und Schröders Neuwahlen-Ankündigung vom 22. Mai angenommen, den Sieg bereits in der Tasche zu haben. In den damaligen Umfragen führte die Union mit nicht mehr einholbar erscheinendem Vorsprung. Die Linke schien sich durch das Aufkommen der neuen Lafontaine/Gysi-Partei zu zersplittern.

Das Wahlprogramm, auf das sich CDU und CSU innerhalb weniger Wochen verständigen, wirkt wie ein frühes Regierungsprogramm. Erst nach der Bundestagswahl wird klar sein, ob die Ankündigung, die Mehrwertsteuer um zwei Prozentpunkte zu erhöhen, auf die Wähler einen positiven Eindruck machte oder nicht. Die ehrliche Aussage von CDU und CSU quittierten die Mitbewerber unisono mit einer heftigen Ablehnung der Steuererhöhung - einschließlich der FDP, die im Reservoir der Union Stimmen sammeln möchte.

Zum großen Problem der Union scheint das Auftreten der Kanzlerkandidatin zu werden. Am Abend des 22. Mai war klar, daß die Führungsrolle auf Merkel zulaufen würde. Der ehemalige Mitbewerber Edmund Stoiber hatte schon Monate vorher durchblicken lassen, daß er nicht mehr zur Verfügung stehen würde. Für CDU-Mitbewerber wie Christian Wulff und Roland Koch war die Zeit zu knapp, um Truppen in der Partei zu mobilisieren. Aber schon bei der Rede zur Vertrauensabstimmung am 1. Juli zeigte sich, daß Merkel nicht gut in Form war. In einem wichtigen Punkt versprach sie sich, als sie ein Bündnis mit der SPD (gemeint war die FDP) als Ziel der Union ausrief.

Zunächst war angenommen worden, daß Merkel nur ein Fehler unterlaufen war, wie er jedem in einer schwierigen Situation passieren kann. Doch seit wenigen Tagen weiß man es anders. In einem Fernsehinterview kündigte die Kanzlerkandidatin an, daß die Bruttolöhne sinken würden, wenn die Union den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung reduzieren werde. Richtig wäre gewesen, daß die Nettolöhne steigen, wenn die Sozialbeiträge gesenkt werden. In einem Interview mit der Bunten tauchte dieser Fehler erneut auf. Auch in München war die Kanzlerkandidatin schon in einen Fettnapf getreten, als sie die bayerischen Nationalfarben Weiß-Blau als Blau-Weiß bezeichnete. Allein die Tatsache, daß die CDU nur Funktionäre zu ihrem Wahlkampfauftakt eingeladen hatte, verhinderte, daß die Kanzlerkandidatin ausgepfiffen wurde.

Merkel hat damit zu Beginn der heißen Wahlkampfphase einige schwere Fehler gemacht. Die Versprecher dürfen nicht als Bagatelle abgetan werden. Daß Rudolf Scharping 1994 als Kanzlerkandidat der SPD so deutlich verlor, dürfte auch darauf zurückzuführen sein, daß er Brutto und Netto verwechselte und ihm damit viel Glaubwürdigkeit abhanden kam.

Das Zögern der Kanzlerkandidatin beim Fernsehduell mit Schröder ist ein weiterer Punkt. In der CDU-Spitze herrschte schon seit längerem der Eindruck, daß zwei Fernsehauftritte mit Schröder angesichts der Erfahrungen aus dem Wahlkampf 2002 nicht sinnvoll seien. Vor drei Jahren hatte Stoiber beim ersten Duell einen gutem Start, fiel aber beim zweiten TV-Auftritt gegen den Kanzler zurück. Schröder nutzte jetzt die Gelegenheit, der Herausfordererin Feigheit vorzuwerfen. Er versetzte sich in die Rolle des Herausforderers und Jägers. Einen Vorgeschmack darauf, wie gut Schröder im Fernsehen sein kann, bekam man jüngst bei seinem Auftritt in der ARD-Sendung "Christiansen". Bleibt Merkel so schlecht, wie sie derzeit erscheint, dürfte sie bei dem großen TV-Duell am 4. September, zwei Wochen vor der Wahl, das Nachsehen haben.

Unbedachte Äußerungen von Parteifreunden machen der Kanzlerkandidatin das Leben zunehmend schwerer. Als Schuß nach hinten erwies sich eine Bemerkung des CDU-Wirtschaftspolitikers Hartmut Schauerte, der Rentenkürzungen in Aussicht stellte. Auch die ungeschickte Aussage des brandenburgischen Innenministers Jörg Schönbohm, der die Gründe für den neunfachen Babymord in Brandenburg in der "Zwangsproletarisierung" in der ehemaligen DDR sah, kostet die Union Sympathien in den östlichen Bundesländern. Dort ist die Partei ohnehin in den Umfragen hinter das Linksbündnis zurückgefallen. Der Wahlkampf der CDU scheint hier nicht in Fahrt zu kommen.

Merkel will in Kürze mit der Präsentation eines Wahlkampfteams wieder in Vorderhand kommen. Doch auch in diesem Punkt hat sie ihre Schwierigkeiten. Da nach wie vor unklar ist, ob Stoiber nach einem Wahlsieg nach Berlin kommen wird, müßte sie eigentlich auf klare Zuständigkeiten für die Angehörigen ihres Wahlkampfteams verzichten. Würde sie dennoch die Gebiete klar abgrenzen, würde dies von der Konkurrenz mit Hinweis auf Stoiber, der nach allen möglichen Ministerien greifen könnte, ausgeschlachtet.

Die Situation erinnert derzeit an den Sommer 2002, in den Stoiber mit einem klaren Vorsprung in den Meinungsumfragen gestartet war. Schröder drehte die Dinge jedoch mit seinen Auftritten beim Elbe-Hochwasser und mit einer geschickten Anti-Kriegs-Kampagne wieder um. Auch in diesem Sommer gehen die Umfragewerte für die Union bereits wieder zurück. Dabei hat Schröder seine Trümpfe, die er angeblich für den Wahlkampf noch hat, bisher nicht aus dem Ärmel gezogen. Für Merkel dürfte das letzte Stück bis zur Ziellinie das schwierigste werden. Gewonnen hat sie noch nicht.


Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen