© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/05 29. Juli / 05. August 2005

Es ging um den Planeten
Der Abwurt der Atombombe war indirekt gegen Stalin gerichtet, direkt konnte der ehemalige Alliierte als Ziel nicht in der US-Öffentlichkeit vermittelt werden
Stefan Scheil

Der bekannte Satz von Carl von Clausewitz, Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, hat eine natürliche Kehrseite: Politik ist in gewisser Weise immer auch die Fortsetzung des Krieges. Es sind die eingesetzten Mittel, die letztlich die Frage entscheiden, welcher Grad der Auseinandersetzung erreicht ist. Sie lassen zudem Rückschlüsse auf die Ziele zu, die jeweils verfolgt werden. Als Präsident der Vereinigten Staaten griff Harry S. Truman 1945 zum Äußersten und setzte als erster und bisher einziger Staatschef ohne Vorwarnung atomare Massenvernichtungswaffen gegen Menschen ein. Seine Ziele waren nicht klein.

Der Atomwaffeneinsatz in Hiroshima und Nagasaki stellte den Präsidenten vor Begründungsnöte. Monate vorher hatte der Krieg in Europa bereits sein Ende gefunden. Die Überlegenheit des amerikanischen Militärpotentials gegenüber der japanischen Armee erreichte zu diesem Zeitpunkt bereits ungeahnte Höhen, niemand konnte in Washington am schließlichen Sieg zweifeln. Zugleich handelte es sich um zivile Ziele, die auf der Liste des amerikanischen Bomberkommandos nicht zu finden und deshalb bisher verschont geblieben waren. Eine militärische Begründung für den Abwurf gab es so wenig wie eine strategische. Ähnlich wie zuvor bei dem konventionellen Angriff auf Dresden spielten bei dieser letzten Attacke sowohl Armee als auch Industrie keine Rolle. Man griff das Stadtzentrum an. Trotzdem behauptete Truman, die Atombombe sei auf eine Militärbasis geworfen worden.

Seine Piloten hatten dies bekanntlich anders gesehen. Die Bombe wurde just fünfzehn Minuten nach dem Ende des Fliegeralarms in der Stadt geworfen und traf daher ganz besonders viele Zivilisten. Dennoch gab Trumans Erklärung das Muster vor, dem andere falsche Behauptungen folgen sollten, wie etwa die, man habe Hunderttausende amerikanische Soldaten vor dem Tod retten wollen. Völkerrechtlich wäre dies ebenso kein zulässiger Grund gewesen, selbst wenn die Angabe gestimmt hätte.

Das Vordringen der Sowjets in Ostasien beschränken

Das präventive Töten beliebiger Zivilisten, um eigenes Militär zu schonen, gilt als Kriegsverbrechen. Die zeitgenössischen Kalkulationen der US-Armee gingen aber von etwa fünfzigtausend eigenen Toten für den Fall der Eroberung Japans aus. Auch dies eine hohe Zahl, in den Augen der Öffentlichkeitsarbeit des Weißen Hauses aber offenbar nicht hoch genug, um als Begründung für den Bombenabwurf genannt zu werden.

Die Gründe für den Angriffsflug lagen in anderen Bereichen, sie waren noch nicht reif, offen ausgesprochen zu werden. Truman traf die Entscheidung zum Abwurf auf der Potsdamer Konferenz. Im wesentlichen diente sie dazu, Josef Stalin zu beeindrucken und durch eine schnelle Kapitulation Japans das Vordringen der Roten Armee im Fernen Osten zu beschränken. Stalins Verhalten in den Monaten zuvor hatte den Antikommunisten Truman in seiner skeptischen Haltung gegenüber der Möglichkeit einer amerikanischen Kontrolle über die Politik der Sowjets bestätigt.

Der Streit zwischen den sich gegenseitig ausschließenden Machtansprüchen der UdSSR und der Vereinigten Staaten zeichnete sich schnell ab, noch während mitten in Deutschland demonstrativ der gemeinsame Kriegserfolg gefeiert wurde. Es ging um den Planeten selbst. Allerdings benötigte die Umsteuerung des Feindbilds der amerikanischen Öffentlichkeit einige Zeit. Während des Weltkriegs war die UdSSR immer wieder als demokratisches Land dargestellt worden. Öffentliche Klarstellungen wie die von Franklin Roosevelt, die Sowjetunion sei ein Aggressorstaat und überhaupt "eine Diktatur wie alle anderen auch", blieben eine seltene Ausnahme. Das Eingeständnis des neuen Präsidenten Truman, man habe ein Massenvernichtungsmittel in politischer Absicht verwendet, um gegen die eben noch hochgelobte UdSSR Stellung zu beziehen, wäre 1945 auf völliges Unverständnis gestoßen. Es blieb also aus und wurde durch ein Netz von gewagten und offensichtlich falschen Behauptungen - erfolgreich - ersetzt.

Clausewitz machte auf ein Gesetz des Krieges aufmerksam, das unaufhaltsam zu einer immer größeren Eskalation der Kämpfe führen würde. Aber, so schrieb er zum Trost, der "wirkliche Krieg" sei anders. Clausewitz vertraute auf Konventionen, die ein Abgleiten vom eingehegten Kampf ins schrankenlose Gemetzel verhindern würden. Die Politik des zwanzigsten Jahrhunderts konnte er nicht vorhersehen.


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