© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/05 29. Juli / 05. August 2005

Ein Signal für die Wirtschaft
Finanzpolitik: Eine Mehrwertsteuererhöhung bei gleichzeitiger Senkung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge ist kein Fehler
Folkmar Koenigs

Zu Unrecht wird die im Bundestagswahlprogramm von CDU und CSU beabsichtigte Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent als schwerer Fehler und Gift für die Konjunktur bezeichnet, weil sie zu einer Verteuerung aller Waren und Dienstleistungen und zu einer Verringerung der Kaufkraft der Verbraucher führe. Dabei werden wesentliche Faktoren nicht berücksichtigt.

Auszugehen ist nicht vom Bruttoeinkommen, sondern vom Nettoeinkommen, weil nur dieses für den Verbrauch verfügbar ist. Lebensmittel, Bücher, Zeitungen und Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr werden durch die Erhöhung überhaupt nicht betroffen, da der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent laut dem Unionsprogramm unverändert bleibt. Mieten werden nur gering betroffen, mit den umlagefähigen Betriebs- und Heizkosten.

Der Anteil der Ausgaben eines Haushalts für Lebensmittel, Güter des täglichen Bedarfs und Mieten beträgt bei geringen Einkommen etwa 80 Prozent - mit höherem Einkommen abnehmend, bei 5.200 Euro Monatseinkommen (Beitragsbemessungsgrenze/BBG in der Arbeitslosenversicherung/AV) etwa 50 Prozent des Haushaltseinkommens nach Steuern und Pflichtbeträgen.

Die um zwei Prozentpunkte erhöhte Mehrwertsteuer wirkt sich daher nur auf etwa 20 Prozent bis 50 Prozent der Haushaltseinkommen aus. Nicht berücksichtigt wird ferner die Entlastung der versicherungspflichtigen Beschäftigten um ein Prozent ihres Bruttoeinkommens durch den niedrigeren AV-Beitrag (bislang 6,5 Prozent).

Als Saldo ergibt sich eine Belastung von höchstens 0,5 Prozent des Bruttoeinkommens Nichtversicherungspflichtiger (Rentner, Arbeitslose) - und eine Entlastung versicherungspflichtig Beschäftigter abnehmend mit dem Bruttoeinkommen von etwa 0,6 Prozent bis 0,0 Prozent des Bruttoeinkommens bei Erreichen der BBG. Bei deren Überschreiten tritt eine Mehrbelastung von etwa ein Prozent abnehmend mit der Höhe des Einkommens ein.

Für die Mehrheit der Bevölkerung ändert sich das verfügbare Einkommen nicht, für die Minderheit ändert es sich nur wenig. Ein für die Konjunktur erheblicher Einfluß auf die Verbraucher-nachfrage ist daher nicht zu erwarten. Das gilt auch für die mögliche Verteuerung eines Teils der Waren und Dienstleistungen, die nicht unter den ermäßigten Satz der Mehrwertsteuer fallen. Für deren Anbieter entsteht wegen des Vorsteuerabzuges eine Mehrbelastung von zwei Prozent nur in Höhe ihrer eigenen Wertschöpfung; diese mögliche Verteuerung wird mindestens teilweise durch die Entlastung bei den AV-Beiträgen ausgeglichen. Die Schwarzarbeit wird kaum wesentlich zunehmen; denn die Ursache ist die schon jetzt sehr hohe Belastung mit Mehrwertsteuer.

Eine Senkung der AV-Beiträge ist die Maßnahme mit größtmöglicher unmittelbarer und kurzfristiger Wirkung zur Verringerung der Erwerbslosigkeit. Wegen der bestehenden rechtlichen Verpflichtungen und Zusagen ist das Einstellen ungenügend wirksamer Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BA) kurzfristig nicht möglich.

Der Abbau von Steuervergünstigungen und Subventionen ermöglicht zwar unter Umständen eine Senkung der Körperschaftsteuer und Einkommensteuer sowie eine Stabilisierung der Beiträge zu den Sozialversicherungen, führt aber in vielen Bereichen zur Verteuerung von Waren und Dienstleistungen und Gefährdung von Arbeitsplätzen.

Eine Wirkung auf die Arbeitslosigkeit ergibt sich erst durch die erhofften Investitionen der Unternehmen mit einer Verzögerung von mindestens einem Jahr. Aufgrund der Finanzerfassung ist nicht zu vermeiden, daß auch die Länder einen Teil des Mehrbetrages aus der Erhöhung der Mehrwertsteuer erhalten: Es ist nicht möglich, die Länder zu verpflichten, den Mehrbetrag statt zum Stopfen von Etatlöchern für Bildung und Investitionen zu verwenden.

Es bleibt nur eine entsprechende Aufforderung. Die Senkung des AV-Beitrages wird wohl zunächst zu einem höheren Zuschuß des Bundes an die BA führen. Von der Union vorgesehen ist aber ein Abbau von ungenügend wirksamen BA-Maßnahmen wie "Ich-AGs", Qualifizierungs- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, um den BA-Einnahmeverlust auszugleichen. Der Mehrbetrag aus der Mehrwertsteuer steht dann alternativ für die Senkung von Steuern, einen Kinderbonus in der Gesetzlichen Rentenversicherung oder die beabsichtigte Reform der Gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung.

Erfahrungsgemäß ist ein wesentlicher Faktor der Wirtschaftspolitik die Psychologie, das Schaffen von Vertrauen und Erwartung wirksamer Reformen. Eine Mehrwertsteuererhöhung bei gleichzeitiger Senkung der AV-Beiträge ist nicht ein "Weiter so" mit alter Politik, sondern Teil eines umfassenden Regierungsprogramms. Schlüsselgröße für die gegenwärtige Notlage des Bundeshaushalts, der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie für die ungenügenden Mittel für Investitionen, Bildung, Forschung und Familien ist die Arbeitslosigkeit von derzeit etwa 4,8 Millionen. Eine wesentliche Verringerung dieser Notlage in allen diesen Bereichen ist nur durch eine Verringerung der Arbeitslosigkeit zu erreichen.

Sie wird aber nicht erreicht durch mit zusätzlichen Schulden finanzierte staatliche Konjunkturprogramme, sondern nur durch eine Verbesserung der Bedingungen für die Unternehmen. Nötig sind eine größere Flexibilität des Arbeitsrechts, die Senkung der Steuern für Unternehmen und niedrigere Lohnnebenkosten, die aus Gesetzen oder Tarifverträgen resultieren. Bessere Möglichkeiten für Arbeitslose, wieder Arbeit zu finden, brächte das Schaffen eines Niedriglohnsektors - mit Hilfe einer staatlichen Ergänzung (Kombilohn) zum möglichen Marktlohn.

Notwendig sind zudem Anreize (gegebenenfalls die Pflicht) zur Beschäftigung von Arbeitnehmern über 50 Jahren und ein Mindestmaß an Schulbildung und Sprachkenntnissen der Jugendlichen - insbesondere aus Ausländerfamilien. Ein großer Teil dieser notwendigen Maßnahmen wird im Regierungsprogramm von CDU und CSU angekündigt - abweichend von der üblichen Praxis der Parteien mit ungewöhnlichem Mut zur Wahrheit und entsprechend mit hohem Risiko.

Gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer wird eingewandt, dadurch solle nur der Druck für notwendige Reformen verringert werden. Entscheidend ist daher, ob die Erhöhung der Mehrwertsteuer bei gleichzeitiger Senkung der AV-Beiträge insbesondere von der Wirtschaft als Signal dafür verstanden wird, daß eine unionsgeführte Koalition auch die anderen angekündigten Maßnahmen des Regierungsprogramms tatsächlich durchführen wird.

Das hängt davon ab, ob die angekündigten kurzfristig umsetzbaren Maßnahmen des Regierungsprogramms insbesondere im Arbeits- und Steuerrecht unverzüglich von der Regierung als Gesetzesvorlagen eingebracht und von Bundestag und Bundesrat auch tatsächlich verabschiedet werden. In diesem Fall ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer geeignet, schon kurzfristig die Wirtschaft zu Investitionen und Schaffen von Arbeitsplätzen zu veranlassen.


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