© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/05 29. Juli / 05. August 2005

BRIEF AUS BRÜSSEL
Vielen Politikern scheint ihr Volk lästig
Andreas Mölzer

In den Niederlanden und Frankreich, wo das Volk direkt abstimmen konnte, wurde der vorgelegte EU-Verfassungsvertrag abgelehnt. Auch in den meisten EU-Ländern, wo kein Referendum vorgesehen ist, zeigen Umfragen, daß es dort genauso wäre. Gleichzeitig jedoch ist die politische Klasse in den Parlamenten mit überwiegenden Mehrheiten für die Verfassung eingetreten. In Österreich etwa sind laut Umfragen 70 Prozent der Wähler gegen die Verfassung - im Parlament stimmte aber nur die FPÖ-Mandatarin Barbara Rosenkranz dagegen.

Daran sieht man, welch gewaltige Kluft zwischen der Meinung des demokratischen Souveräns, des Bürgers und Wählers also, und jener der politischen Klasse herrscht. Diese Kluft offenbart, mit welch großem Fragezeichen der Begriff Volksherrschaft zu versehen ist.

Das eherne Gesetz der Oligarchie nannte der Parteien-Kritiker Robert Michels in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts jenes Phänomen, wonach die Delegierten, also die Mandatare, das Volk, das sie entsendet, beherrschen. Normalerweise hätte ja der Entsender als Souverän die Macht inne und der von ihm Entsendete bloß dessen Vorgaben zu erfüllen. In der Realität des Parteienstaats ist es aber umgekehrt: Die politische Klasse beherrscht das Wahlvolk, das nur alle vier, fünf Jahre, wenn es einen Urnengang gibt, seinem Willen Ausdruck verleihen kann.

Allen Versuchen, das Volk mit den Instrumentarien der direkten Demokratie häufiger zu Wort kommen zu lassen, erteilt die politische Klasse eine Absage - warum wohl? Wozu habe man denn die repräsentative Demokratie heißt es da. Die gewählten Politiker müßten eben Verantwortung übernehmen - alles andere sei billiger Populismus.

Zwar gibt es in Österreich und einigen deutschen Bundesländern Volksbegehren und Volksabstimmungen. Doch die setzt man seitens der politischen Nomenklatura möglichst sparsam oder wenn, dann möglichst kontrolliert ein. Dem Volk mißtrauen die Volksvertreter offenbar ganz massiv. Bestes Beispiel dafür ist Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, der es im Falle der EU-Verfassung tunlichst vermied, irgendeine Diskussion, geschweige denn einen Volksentscheid aufkommen zu lassen. In der Haltung des ÖVP-Chefs sowie in der Phobie der politischen Klasse insgesamt vor der direkten Demokratie manifestiert sich ein tiefes Mißtrauen gegenüber dem Volk - und auch ganz reale Angst vor der Meinung des Volkes.

Nun mag es zwar so sein, daß breite Kreise der Bevölkerung wenig Ahnung von politischen Abläufen haben und anfällig für populistische Thesen sind. Interessant ist aber, daß die Bevölkerung oft ein weit besseres Gespür für das Sinnvolle und für das Machbare hat, als es die politische Klasse wahrhaben will. Die Wahrheit sei bei wenigen bloß, wußte Friedrich Schiller. Dennoch verfügt das Volk in seiner breiten Masse über ein weitaus sichereres Urteil als eine in breiten Teilen moralisch korrumpierte politische Klasse.

Solange nicht im Sinne Schillers oder Platons Philosophen regiert wird, sollte man im Sinne wirklicher Demokratie tatsächlich das Volk regieren lassen. Es ist allemal besser als jene Rotten von Partei-Apparatschiks, die sich in der postmodernen Demokratie europäischer Prägung die Pfründen und die Plätze an den Schalthebeln der Macht teilen.

 

Andreas Mölzer ist Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung "Zur Zeit" und seit 2004 FPÖ-Europaabgeordneter.


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