© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 31-32/05 29. Juli / 05. August 2005

Vorsprung durch Begriffe
Parteien: Der beginnende Wahlkampf zeigt, daß der Wettstreit um Mandate immer auch ein Ringen um die Deutungshoheit der Sprache ist
Heinrich Lummer

Wahlkampf ist auch immer ein Kampf um Worte, um Begriffe. Wer die besten Begriffe besetzen kann, hat allemal einen Vorsprung. So hat die CDU den Begriff der "Freiheit" in den fünfziger Jahren besetzen können, weil er auch von der Bevölkerung angesichts der Bedrohung aus dem Osten angenommen wurde. Während der Zeiten der Entspannungspolitik stand der Begriff des "Friedens" im Vordergrund des Interesses, was der SPD Vorteile verschaffte.

Was Wunder, wenn sich die großen Parteien dem Thema nicht auch wissenschaftlich zu nähern versuchten. Die SPD beauftragte die Werbeagentur ARE mit der Untersuchung des "emotionalen Gehalts" von bestimmten Schlagwörtern. Das war bereits Mitte der siebziger Jahre. Um die gleiche Zeit gründete die CDU eine "Projektgruppe Semantik", um die Sprache als wichtiges "Mittel der Strategie" einzusetzen.

Was ist bei alledem herausgekommen? Herzlich wenig, wie so oft wenn man sich auf die Wissenschaft verläßt, und das wenige könnte einem der gesunde Menschenverstand oder ein bißchen Lebenserfahrung sagen.

In der Hauptsache hat man auf "objektive" Verfahren abgestellt. "Die Emotionen werden anhand von physiologischen Messungen erfaßt. Das sind Messungen der Veränderung des elektrischen Hautwiderstandes, die meist als psychoanalytische Reaktion bezeichnet werden."

Was sich so geschwollen anhört, können wir viel einfacher haben. So ist die Ökosteuer nichts anderes als eine zusätzliche Mineralölsteuer. Nur in anderer Verkleidung, um die Wähler zu täuschen und nicht zu sehr zu verschrecken. Das Kind muß eben einen anderen wohlklingenden Namen haben. Immerhin bringt sie dem Staat auch was ein - ganz im Gegenteil zur sogenannten "Millionärssteuer", die dem Neid Vorschub leisten soll, aber nicht dazu geeignet ist, die Kassen zu füllen. Zwar ergänzt sie sich mit der von SPD-Chef Franz Müntefering aus durchsichtigen Motiven mutwillig vom Zaun gebrochenen Kapitalismus-Debatte, aber darum wird es auch nicht besser. Doch solche Begriffsprägungen kommen eben an.

Die SPD hat mit ihren Slogans mehr Glück

Ein anderer Begriff, mit dem gespielt wird, ist die "Bürgerversicherung". Das soll den Bürgern vorgaukeln, daß es demnächst nur eine Versicherung geben wird, in die jedermann nach seinen Fähigkeiten einzuzahlen habe. Ganz im Gegensatz zur CDU, die von "Kopfpauschale" spricht, die jeden gleichermaßen treffen soll. Auch wenn es die SPD vermeidet zu offenbaren, wie denn die von ihr geplante Bürgerversicherung konkret aussehen soll: Schon bei oberflächlicher Betrachtung wird deutlich, daß die SPD mehr Glück hat bei der Auswahl ihrer Wahlkampf-Slogans als die CDU. Da gelten ganz einfache Grundregeln.

Erstens: Böse Zumutungen müssen für den Bürger in schöner Verpackung erscheinen.

Zweitens: Die "da oben" müssen zur Kasse gebeten werden. Ein Appell an den Neid hat sich noch allemal in Wählerstimmen ausgezahlt.

Drittens: Es müssen Versprechungen ohne Rücksicht darauf gemacht werden, was denn die tatsächliche Kassenlage hergibt. So verkündete Schröder einst vollmundig, er wolle sich am Rückgang der Arbeitslosenzahlen messen lassen. Dazu gehörte eine gehörige Portion Chuzpe. Tatsächlich stiegen die Zahlen in seiner Amtszeit deutlich.

Und viertens gehört dazu eine Regel, die absolut aus dem Rahmen fällt. Sie kommt zur Geltung, wenn orientalische Teppichhändler ihre Waren feilbieten. Dann versprechen sie marktschreierisch, hier würden Waren mit "ehrlichen Preisen" angeboten. Doch wer glaubt's?

Die CDU wagt mit ihrer Entscheidung für die Erhöhung der Mehrwertsteuer einen mutigen Schritt vor der Wahl. Ob der Wähler das honoriert?

 

Heinrich Lummer war Berliner Innensenator und Bundestagsabgeordneter der CDU.


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