© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 30/05 22. Juli 2005

Pankraz,
Kardinal Schönborn und die Neo-Darwinisten

Ein erstaunlich lautes, rasches, in jeder Hinsicht leidenschaftliches Echo hat ein knapper Artikel des Wiener Kardinals und Erzbischofs Christoph Schönborn auf der Gästeseite der New York Times vom vorvergangenen Donnerstag ausgelöst. "Finding Design in Nature", zu deutsch: "Der Plan in der (biologischen) Entwicklung", war die Kolumne überschrieben, und sie wirkte offenbar wie ein Peitschenhieb ins Wespennest. Seitdem summt es in den Wissenschaftsspalten der Zeitungen und des Internets, wie man es schon lange nicht mehr gehört hat.

Viele Kommentatoren "wittern Unrat", nämlich den Beginn einer "gegenreformatorischen", "anti-galileischen" Zusammenarbeit des Vatikans mit den amerikanischen "Kreationisten", jenen Ideologen also, die die Darwinsche Evolutionslehre nicht nur leugnen, sondern auch dafür sorgen, daß sie in manchen amerikanischen Schulen aus dem Lehrplan genommen wird. Vom verstorbenen Papst Johannes Paul II. hieß es seinerzeit, daß er sich für die Darwinsche Lehre und gegen die Kreationisten ausgespochen habe. Schönborn korrigiert diesen Eindruck nun und läßt im übrigen wenig Zweifel daran, daß er selbst die Darwinsche, bzw. neo-darwinistische Lehre für überholt und falsch hält.

Nimmt man die Äußerungen für sich, kann man nichts Sensationelles an ihnen entdecken. Die einschlägigen Urteile des verstorbenen Papstes waren tatsächlich eher beiläufig und auslegungsbedürftig, wie die sorgfältige Dokumentation Schönborns zeigt. Und daß die Neo-Darwinisten weniger schlau sind, als sie selber von sich glauben, und die modernen Kreationisten nicht so dumm, wie sie in Europa überwiegend hingestellt werden, pfeifen mittlerweile die Spatzen von den Dächern.

Man kann die "dunkelmännerischen Exzesse" in der amerikanischen Schulpolitik kritisieren - und trotzdem der Meinung sein, daß in der Diskussion zwischen Neo-Darwinisten und Kreationisten die ersteren durchaus nicht immer die überzeugenderen Argumente haben. Schon für die Grundannahmen beider Richtungen trifft das nicht zu, schon da schwant dem Zuhörer, daß die Entwicklung der Wissenschaft sich wohl eher der kreationistisch-idealistischen als der darwinistisch-materialistischen Sichtweise zuneigt.

Die Neo-Darwinisten postulieren als einzigen Motor bei der Entwicklung des Lebendigen einen simplen Mechanismus aus Mutation und Selektion. Die formgebenden Gene, so behaupten sie, würden durch zufällige Mutationen verändert, und anschließend sorge der Zwang zur Anpassung dafür, daß die in Hinblick auf "Fitneß" günstigen Mutationen am Leben blieben und sich durchsetzten, während die ungünstigen dem Untergang anheimfielen. Auch die bisher dominierenden Formen würden von den erfolgreichen Mutanten dank deren zahlreicherer Nachkommenschaft allmählich vernichtet. Es herrsche ein gnadenloser Konkurrenz- und Überlebenskampf, den die quantitativ Überlegenen am Ende für sich entschieden.

Die Kreationisten weisen demgegenüber darauf hin, daß jeder lebendigen Form eine Idee, also ein geistiges Wesen, innewohne, ein "optimales Design", das der Zufall lediglich variieren, nicht aber total beeinflussen könne. Sie sind, in ihrer modernen, "wissenschaftlichen" Ausprägung, nicht grundsätzlich gegen den Evolutionsgedanken, interpretieren ihn aber "teleologisch", auf ein Ziel hin angelegt, das jeder materiellen Entwicklung voranstehe und sie prägend beeinflusse. Die Gene seien keine bloßen Baukastenelemente, die durch blinden Zufall ständig durcheinandergeschüttelt würden, so daß auch einmal "vernünftige" Formen entstünden, sondern sie seien lebendige Wesen mit einem von vornherein vernünftigen Design-Antrieb.

Zahlreiche Beobachtungen und Experimente befestigen mittlerweile den idealistischen oder, wie es früher hieß, "vitalistischen" Standpunkt. Beispielsweise müssen die Neo-Darwinisten wegen der gemächlichen Wirkungsweise ihres Mutation-Selektion-Mechanismus ungeheure Zeiträume voraussetzen, um die Entstehung neuer biologischer Arten erklären zu können. Paläontologische Forschungen fördern indessen immer wieder zutage, daß Arten in oft historisch äußerst kurzen Fristen auf den Plan treten und ihr optimales Design erfüllen, zum äußersten Mißvergnügen der neo-darwinistischen Gralswächter.

Gene sind, allen neo-darwinistischen Dogmen zum Trotz, alles andere als simple Funktionsträger, deren Wirkung in den Zellen schlicht berechnet und mit eventuell anfallenden Mutationen souverän verglichen werden kann. Sie enthüllen im Gegenteil ein ausgesprochen proteisches, sich von Situation zu Situation wandelndes Wesen, das die Forschung vor gänzlich neuartige Herausforderungen stellt. Die Grundlagen des traditionellen, exklusiv physikalisch-chemischen Weltbildes geraten ins Wanken. Neue, vitalistische Forschungs-Paradigmen kündigen sich an.

Angesichts all dessen findet es Pankraz ausgesprochen unfair, daß manche Schönborn-Kritiker so tun, als wolle dieser den US-amerikanischen Schulbuch-Reinigern von der alt-kreationistischen Couleur den Weg nach Europa ebnen. Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Es geht nicht darum, den in der Bibel erzählten Schöpfungsmythos, Gegenstand des Glaubens, für wissenschaftlich und pädagogisch verbindlich zu erklären, es geht vielmehr um einen längst fälligen und bitter notwendien Anstoß zur Modernisierung des wissenschaftlichen Grund-Diskurses in Alteuropa.

Einige der Teilnehmer an der "Schönborn-Kontroverse", Biologen und Evolutionstheoretiker, haben das übrigens genau erkannt. Sie beklagen ihrerseits, etwas verschämt, die "Holzschnitthaftigkeit" des "alten" Neo-Darwinismus und geloben Besserung. Denn alles sei ja "viel, viel komplizierter", als sich das einst Darwin, Haeckel oder Ernst Mayr je hätten vorstellen können.


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